8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 415 Klang gewidmet, es ist Zeugnis dieser Symbiose von Struktur und Klang: Seine sinnlich fassbare Klang- und Klangfarbenmusik ist Ergebnis strenger struktureller Arbeit. Als Architekt und Musiker schuf Xenakis 1958, nach 12-jähriger Assisten-tentätigkeit bei Le Corbusier, den Philips-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung, in dem die elektronische Raummusik (Poème éléctronique von Edgar Varese) erstmals eine der Komposition entsprechende räumliche Aufführung erfuhr. Das Wissen um die räumliche Perzeption gemeinsam mit den Möglichkeiten der Elektronik führt zur Simulation akustischer Räume, zu einem von physikalischen Gegebenheiten unabhängigen, willkürlich gestaltbaren musikalischen Parameter. Komposition von Raum etabliert sich derzeit mit dem 5-Kanal-Ton der DVD im Verein mit den allseits verfügbaren Techniken der elektronischen Raumsimulation im Grenzbereich zwischen der hochkulturellen und der anderen Avantgarde zu einem technisch moti-vierten Standard. Auf Festivals finden sich Musikkategorien für 5-Kanal-Ton und lösen die analogen 8-Kanal-Aufführungen ab. Die Rock-Musik der fünfziger Jahre verwendete Raumsimulationen aus funktio-nalen Gründen; der Live-Charakter sollte der Studioproduktion aufgesetzt werden – konservierte Rock-Musik als Musik des Tanzsaals erkennbar sein. In den sechziger Jahre entstand aus diesen Möglichkeiten eine von funktionalen Aspekten lösgelös-te ästhetische Haltung in der künstlichen Verwendung unnatürlicher akustischer Raumsituationen und ihrer kompositorischen Verarbeitung. Von der Platzierung gleichzeitig erklingender Stimmen in unterschiedlichen Räumen bis zur Nutzung von Raumklanganteilen und deren Manipulation als Klangeffekt im gated revers reverb der snare von Phil Collins. Computermusik, die höhere Formen virtueller Realität anstrebt, nutzt gemeinsame Raum- und Klang- sowie Raum- und Struktur-Erfahrungen. Kognitive Implantate wie synästhetisches Vorwissen werden zur Raumillusion durch Musik ästhetisch genutzt. Der alte Begriff Tonraum und wissenschaftliche Erkenntnisse aus kognitiven Wahrnehmungstheorien verschmelzen im Verein mit den technischen Möglichkeiten zu wissenschaftlich-künstlerischen Experimenten. Diese Erfahrung ist Interface in die Welt virtueller Räume abseits der Simulation physikalischer. 8.2.3 Auditory-Space und Net-Space als physikalische und kommunikationsbasierte Ereignisräume Der auditory space ist eine aus der Erfahrung der Physik des Verhaltens der Dinge abgeleitete Raumsvorstellung, er ist durch das passive Analysieren eines Individuums, das sich in der Mitte des Raums erlebt, charakterisiert – mehr als eine Metapher dient er als Modell des Verhaltens von Information im Net-Space bei eigener körperlicher Inaktivität. Der elektronische Raum oder Web-Space ist durch die Übertragbarkeit von Infor-mationen und willkürliche Dislokation charakterisiert; er ist durch die prothetische Verlängerung des Körpers gegenüber dem unmittelbar körperlich explorierbaren Raum erweitert, er ist qualitativ eine kinästhetische Empfindungsqualität und unter-liegt in seiner Wahrnehmung auch der mechanistischen Sicht der Dinge. Räume sind ungeachtet von Distanzen verknüpfbar (verschaltbar), neue virtuelle Räume können geschaffen werden. Im Erleben des Net-Space, des Kommunikationsraums, bricht