8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 417 Der Web-Space und der Net-Space werden erst jüngst als die technische bzw. die kommunikationsbasierte Einrichtung differenziert. Telematische Experimente mit dislozierten gleichzeitigen Ereignissen erprobten den Web-Space und damit eine entkörperlichte Erfahrung der Gleichzeitigkeit ohne räumliche Nähe. Die elek-tronischen Massenmedien haben zumindest in der Einwegkommunikation dieses Verhalten zu einem gewohnten werden lassen, selbst wenn dies den basalen Erfah-rungen der Körper-Umwelt-Interaktion widerspricht. Telematische Ereignisse sind insofern mediatisierte, als die Information über ein Ereignis von der Räumlichkeit entkoppelt ist. Dass akustische, zeitbedingte Ereignisse durch Speicherung von ihrer Zeitlichkeit entkoppelt sind, ist eine Mediatisierungsform, deren Erfahrung wir seit den mechanischen, elektromagnetischen Speichermedien erlernt haben. Während der telematische web space dem Begriff Information und der Forderung, diese möglichst störungsfrei übertragen zu können, somit letztlich einem einfachen reaktiven Schema folgt, ist der Net-Space durch Kommunikation bestimmt. Der SHANNON’sche (1949) Term »Information als praktikable Größe von Übertragung« steht dem älteren Begriff der BALE’schen (1952) Kommunikation gegenüber, die Information als ein sich selbstorganisierenden Prozess durch Interaktionen sieht. Der Inhalt der Kommunikation und die Struktur des Kommunikationsnetzes befinden sich in einem dynamischen Prozess von Interdependenz – dies ist es, was den Net-Space charakterisiert, dieses systemische Verhalten anstelle reaktiver Ver-bindungen gestaltet das Netzwerk wie den Inhalt der Kommunikation. Dabei ist der Begriff Interaktion zentral. Interaktion ist die Verhaltensgröße von Interfaces. Mit der Entwicklung der Technologie von reaktiven Maschinen zu interaktiven weil lernfähigen Agenten hat sich ein mechanistisches Verständnis dem theoretisch älteren kommunikatorischen angenähert. Musizieren als instrumentarisiertes Aus-drucksverhalten, als kommunikationsbasiertes gemeinsames Gestalten, wie Musik als Objektivation des Wir in der Polyphonie begleiten die steps der Entwicklung in-teraktiver Systeme und Gestaltungen als Modell; künstlich intelligente Systeme von lernfähigen Agents und hinsichtlich ihrer Rolle im Net veränderliche communication-nodes simulieren als Erkenntnis- wie Gestaltungsmethoden komplexe interaktive und somit Kommunikationsnetzwerke. Zusätzlich zur Immersion durch die umhüllend räumliche Qualität von Klang dient der Auditory-Space als erfahrungsbasiertes Interface in den Kommunikationsraum Net-Space – beide sind durch Ereignisse in ihn induziert. Sind die Ereignisse im Auditory-Space reaktiver Art, so sind sie im Net-Space interaktiver Art: einem mechanistischen System steht ein kommunikatorisches gegenüber. Interaktionen im Net-Space sind nicht mehr nach reaktiven Verhaltensschemata nachvollziehbar (JAUK 1995a), sondern bloß in secondary realtime (de KERCK-HOVE 1995). Darunter ist nicht ein technisches delay des Web-Space, sondern die Veränderung von Information im System durch die wechselseitige Beziehung von Trägern der Information und der Information selbst zu verstehen – beide verändern sich in einem systemischen Prozess von Kommunikation. Der Output eines solchen systemischen Ereignisraums ist als Verhaltensänderung an unterschiedlichen Stadien eines Prozesses ablesbar. Die passive (mediatisierte) Erfahrung seiner all-at- onceness-Qualität lässt Identifikation über (Verortung) Räumlichkeit nicht mehr zu. Identifikation ist von physikalischer Körperlichkeit und Räumlichkeit gelöst.