424 Bedingungen der Irritation und Transgression des mechanischen Systems Zeitlich vor der Hochblüte der Netzkunst stehend assoziiert POPPER auch schon den kommunikativen Aspekt von Interaktion, er bleibt jedoch in seiner auf Technik beruhenden Argumentation und seinen Beispielen von reaktivem Verständnis, einer Interaktion mit einem passiven Partner verhaftet. Dieser kommunikative Aspekt berührt informelle Demokratisierung und deren Popularisierung (über Technologie), wie dies ja auch den populären Künsten nicht fremd ist. »Diese Entwicklung schließt eine umfassendere Kreativität in einem Kontext ein, der nicht nur auf professionelle Architekten und Komponisten, sondern auch auf eine größere Öffentlichkeit erweitert wurde. In diesem Zusammenhang muß man festhalten, daß bei den vielen jüngst entstandenen Arbeiten das Klangelement meist in der Form eines skulpturalen akustischen Raumes integriert worden ist und die Verbindung von elektronischen Bildern und rein auf Daten basierenden Klängen immer mehr zunimmt« (POPPER 1991, S. 258–259). Die Neue Kunst lehnt sich nicht nur an die Arbeit mit den materialen Eigenschaf-ten des Klangs, sondern an die Bezüge, die Klang generieren und manipulieren – dabei wird Interaktion von der Partizipation zur kollektivierend gestaltenden Größe einer Kommunikation. Die freie kollektive Musizierform des Free-Jazz, die Avantgar-de der Wir-bestimmten sechziger Jahre, nutzt diese informelle Kommunikationsform zur musikalischen Gestaltung; sie ist »›Komponieren‹ aus der musikalischen Interak-tion « (KNAUER 1996, Sp. 1410). Auch dieses »Komponieren« über das Musizieren hinaus folgt einem Werkverständnis. Informell und Zufall sind dabei als Negation des geschlossenen Werkes, als »Dialektik zwischen Form und Öffnung« (POPPER 1991, S. 265) zu betrachten. Die »aktive Intervention des Zuschauers« (ebenda) ist dem Werk eigen, betrachtet man (individuelle) Interpretation als dessen Teil. »Unter einem Werk muß man in dieser Perspektive [der Interaktion, Anm. des Autors] ein durch strukturale Eigenschaften ausgezeichnetes Objekt verstehen, das nicht nur die Aufeinanderfolge von Interpretationen, Interventionen und sich entwickelnder Perspektiven erlaubt, sondern das diese auch koordiniert« (POPPER 1999, S. 266). Diese Ästhetik der »Unabgeschlossenheit« (ebenda) läßt mechanische Vorgänge als Denkgrundlage annehmen, die auf ein Produkt zielen, kommunikative Vorgänge verstehen sich hingegen grundlegend als dynamischer Prozess. Dieses geänderte Werkverständnis – in weitem Sinne nach Descartes als »kon-tinuierliche Schöpfung« zu betrachten – folgend ist das klangliche Produkt die Veräußerlichung eines Interaktionsprozesses, seine Aufzeichnung die Dokumenta-tion, ein im Bereich der Konservierung des Jazz bekanntes Faktum. Theoretische Ansätze, die Musik als (einen Prozess der) Gestaltung erachten, implizieren die Möglichkeit musikalischen (Miteinander-) Sprechens. Der Free Jazz, speziell in der Ausformung der freien kollektiven Improvisation, ist nicht nur die Avantgarde der kollektiven Gestaltung nach den Prozessen der Kommunikation, er ist das Modell von Kommunikationskunst und Avantgarde der Offenlegung der Diskussion um die Horizontalisierung von Gestaltungsprozessen – im Künstlerischen wie im Politischen in den sechziger Jahren. Wir-Verständnis und Amateurismus sind Faktoren und Manifestatoren, die den Umgang mit informeller Strukturierung, mit kollektiver Gestaltung wie kollektivierender Community-Bildung fokussieren und nicht das Augenmerk auf die Gestaltung unter Nutzung gegebener Regeln, auf das Produkt der Gestaltung richten. Informelle Herausbildung ist das Thema der Kunst, De-