8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 429 SCHLÄBITZ (1998) stützt diese Aussage mit dem Hinweis auf die Referenzlosig-keit der Musik, ihrem Erscheinen in der Zeit wie ihrem prozessualen Charakter. Net-Art teilt diese Aspekte mit Neuer Kunst insgesamt, als Kommunikationskunst hingegen ist sie in ihrem spezifischen Selbstverständnis definiert. Referenzlosigkeit hat absolute Musik mit den digitalen Künsten gemeinsam; Zeitgestaltung abseits des Fortschreitens nach kausalem (oder in Kausalität gedachtem) Verhalten von Dingen oder der narrativen Verkettung von Ereignissen hat Musik zum Vorbild für abstrakte Künste in der Zeit, den abstrakten Film wie die Videokunst gemacht. Musik war dieser Entwicklung Vorbild, aus dem Verständnis von Musik leistete Nam June Paik Pionierarbeit in der Videokunst. Referenzlosigkeit steht mit der Immaterialität, Zeitgestalt mit der Dynamik allgemein Neuer Künste in Bezug. Das Prozesshafte und Systemische sind Wesensmerkmale der Kommunikationskunst, die Strukturierung von Kommunikation durch Kommunikation thematisiert. Net-Art wie eine am Musizieren orientierte (wie auch aus ihm hervor gegangenen) Musik ist durch dieses informelle Gestalten charakterisiert. Net-Art bildet damit virtuelle Kommunikationsräume, Ereignisräume wie der egozentrische Auditory-Space einen durch seine passive körperliche Wahrnehmung repräsentiert – McLUHANs Ahnung ist damit auf eine empirische Ebene gestellt, ein metaphorisches Verständnis einer Parallelität weicht einem erfahrungsbasierten Imagery. Sind Netzwerke grundsätzlich durch Kommunikation geregelt, so ist diese Kom-munikation durch technische Bedingungen neu gestützt. Elektronische Netzwerke und nun digitale erlauben nicht nur die Übertragung hoher Datenmengen in beinahe Echtzeit, sondern sind in ihrer nicht zentralen Struktur horizontal organisierbar. Hohe Geschwindigkeit reduziert Zeit und Raum auf das Hier und Jetzt, dezentrale Strukturen begünstigen Demokratisierung. Sie bestätigen McLUHANs Ahnung, BAU-DRILLARDs polemische Warnung vom »nutzlosen Körper«, der in einen virtuelle Raum nicht eintreten kann, ein Raum, der wie der Auditory Space durch Verhalten in ihm indiziert wird. Entkörperlichung und Entortung führen zur Entpersonifi-zierung und damit in gewisser Weise zu einer Informalisierung. Mit allgemeiner Verfügbarkeit horizontaler Strukturen gepaart wächst die Chance auf Demokratisie-rung – allerdings: das wirtschaftliche Interesse am Individuum missbraucht diese basisdemokratische Struktur. Das Vordringen in die Nische des Individuums dient der Profitmaximierung. Das Hacking solcher Strukturen ist selten zielführend, ob der Ungleichheit der Machtverteilung. Hacking entpuppt sich im einzelnen oftmals als pubertäres Spiel, als ästhetisierter Selbstzweck, als Kitsch intendierten Bezü-gen zu (soziopolitischen) Kontexten in Gestaltung und Rezeption enthoben (vgl. BROCK 1974) – dennoch: in der Mannigfaltigkeit liegen die Brüche im politischen System aus postmoderner Sicht. Musik als Formalisierung der Klangwahrnehmung, Pop-Musik als instrumentarisiertes Ausdrucksverhalten sind nicht nur in diesen innermusikalischen Aspekten adäquate Interaktionsparadigmata mit dieser mediati-sierten Welt, Pop-Musik ist Teil dieser in ihrem gesamten Gesellschaftsgefüge mit zunehmender Geschwindigkeit einem neuen Zustand zustrebenden Gesellschaft als vom mechanischen Körper befreite, globale Erlebnisgesellschaft. Die digital culture ist von der Vorstellung horizontaler Strukturen aus der infor-mellen Gestaltung durch Selbstorganisation in der Kunst mit dem Net wie in der Gesellschaft geleitet – eine Vorstellung, die bereits in der Avantgarde der sechziger