8.3 Digitalisierung und Musik 439 8.3.4 Digitalisierung und Willkürlichkeit Digitalisierung ist die Konvertierung analoger Zuständlichkeit auf die Ebene der Codes. Ihre Willkürlichkeit erlaubt die Mutation und Generierung einer Wirklichkeit alternativ zu den Gegebenheiten der Natur. Aus der Erfahrung natürlichen Verhal-tens und der Interaktion mit natürlicher Umwelt erlernen wir das mechanistische Gefüge und generalisieren daraus Kausalität (LEVY 2000). Willkürlichkeit trägt die Potenzialität in sich, diese zu überwinden. Einschränkungen dieser Potenzia-lität bedingt der menschliche Umgang mit Willkürlichkeit. Diesem ist eben die Erfahrung der Natur vorgeschaltet. Sie zu überwinden kennt die Kunst gestal-tende Methoden zwischen Zufall und strenger Reihung, zwischen Informell und (künstliche) Formalisierung von Verhalten, letztlich Methoden, die das (körperliche) Subjekt mit seiner Bindung zur Welt der Physik kontrollierend ausschalten, die den Subjekt-Objekt-Bezug lösen, die versuchen Immaterialität herbeizuführen. Musik als Code-System repräsentiert eine virtuelle Welt; die genannten Methoden zur Lösung des Subjekt-Objekt-Bezugs, zur Objektivierung von menschlichem (Ausdrucks- und Kommunikations-) Verhaltens wurden in ihr erarbeitet. Diese Formalisierung in Codes führt konsequenterweise zur Computermusik, die damit zur ersten der Computer-Künste wurde. Musik wie digitale Künste als Systeme willkürlicher Codes, die die Kreation willkürlicher Welten ermöglichen, schließen jedoch die Formalisierung spezifischer körperlicher Erfahrungen nicht aus; Musik ist ein Prozess der Mediatisierung: Von der unmittelbaren körperlichen Ausdrucksform und ihrer allgemeinen Verständlich-keit bis zur Ausbildung von Zeichensystemen – Die Spezifität von Klang und seiner Wahrnehmung als Mittler macht Musik in besonderer Weise für eine virtualisierte Welt paradigmatisch. Musizieren ist die Instrumentarisierung des Ausdrucks, Mu-sik ist die Formalisierung der Logik des Auditiven (JAUK 2000a) im beziehenden Denken (RIEMANN 1914/15), des Klangraums als Ereignisraum, des kommunika-tiven Verhaltens als polyphone Musik (ADORNO 1958) und zudem die Regelung willkürlicher Codes durch hedonische Prozesse (BERLYNE 1970, 1971, 1974) wie Spannung-Lösung dies tut (SCHENKER 1935). Musik ist damit in diesen Formalisie-rungen die systematische Wahrnehmung der Wahrnehmung im Übergangsbereich zwischen Erfahrung von Natürlichkeit und dem Schaffen von Willkürlichkeit in einem System von Codes. Darin liegt ihre Nähe zur Medienkunst. Ihre Herkunft aus der Bildenden Kunst ist mit der Loslösung vom abbildenden Anspruch und der Formalisierung des (Ab-)Bildens letztlich mit Codes in den digital Arts verbunden – hat die Dynamisierung eine Musikalisierung der neuen Künste gebracht (FLUSSER 1985; CHARLES 1989; RÖTZER 1991), so ist mit der Digitalisierung, dem weitesten Schritt in der Ausbildung der Medienkunst aus der Bildenden Kunst, ist diese mit der codegenerierten Formkunst Musik verwachsen. Digitalisierung überschreitet die Grenzen des physikalisch Machbaren, Natürliches wird in Willkürliches überführt, Willkürliches wird künstlich geschaffen. Die An-wendung der Digitalisierung in der Musik ist teilweise nicht die Überschreitung der elektronischen Informationsverarbeitungsmöglichkeiten, sondern ihre Fortführung (RÖSING 1996). Digitalisierung selbst ist jedoch ein Phänomen, das grundlegend anders ist als analoge Repräsentanz was die Wahrnehmbarkeit und die Generierung von Welt betrifft: Digitalisierung überschreitet die Natur hin zur Willkürlichkeit.