440 Bedingungen der Irritation und Transgression des mechanischen Systems Vieles, was bisher als Musikalisierung der Neuen- und Medienkünste angesprochen wurde, ist mit Digitalisierung insofern assoziiert, als es heute digital realisiert wird – dennoch Erhöhung der Geschwindigkeit und damit Mutation von Zeit- und Raumempfindung, Raum als Ereignis- und Kommunikationsraum sind Implikationen des Elektronischen, die in der Digitalisierung ihre schnellere, kleinere, ökonomische Fortführung finden – Datenverarbeitung, -übertragung, Net-Space etc. sind die digitalen Äquivalente ihrer elektronischen Vorfahren. Digitalisierung wird im Zusammenhang mit Musik als qualitativer Aspekt der Klangaufzeichnung und als Aspekt der Distribution von Musik im Net diskutiert. Hinsichtlich der Speicherung wird dabei ein Qualitätsschub und zugleich die Fort-führung der elektromagnetischen Speicherung geortet, hinsichtlich der Distribution ist es die allgemeine Verfügbarkeit und die Möglichkeit des gezielten Zugriffs; dazu gehört etwa die gezielte Verteilung der mit zusätzlicher Information angereicherten Musik über digitale Sendestationen nach bestimmten Anforderungsprofilen. Bei einem Rauschspannungsabstand der Amplitudenauflösung der Schwingungs-form mit 16 bit von 96 dB entsteht ein rauschfreies, präsentes Klangbild. Die Abtastung mit einer Frequenz von 44 100 pro Sekunde bildet hohe sinoide Töne als Rechtecksschwingungsformen ab; die dadurch auftretende Anreicherung mit (unge-radzahligen) harmonischen Obertönen erzeugt einen Exciter-Effekt – das Klangbild ist subjektiv heller und klarer. Abseits der subjektiven Empfindung eines besseren (qualitativ reineren) digitalen Klangbildes verglichen mit dem der analogen Schallplatte, abseits der rechtlichen, marktwirtschaftlichen, soziologischen und künstlerischen Implikationen der digitalen Kopie, ist die Irritation der Wahrnehmungen geprägt durch die Erwartungen aus den Erfahrungen über das Verhalten der Dinge, hervorgerufen durch die Digitalisierung von Interesse – letztlich die Transgression des Mechanistischen. Digitalisierung ist grundsätzlich als jene technologische Innovation zu sehen, die eine Entkoppelung, letztlich einen Verlust der Subjekt-Objekt-Relation bringt und mit der Entkörperlichung die Überwindung des mechanistischen Systems als Folge der Körper-Umwelt-Interaktion: Digitalisierung ist die Konvertierung der analogen Zuständlichkeit auf die Ebene der Codes. Natürlichkeit wird durch Willkürlichkeit als Gesetzmäßigkeit in der Welt der Codes ersetzt. Physikalisch Mögliches wird durch willentliche Machbarkeit überschritten – kausales Verhalten durch willentlich gesetztes, hinsichtlich der Angenehmheitsempfindung durch hedonisch bedingtes ersetzt. Digitalisierung ist mit Zeichenbildung verbunden, damit mit willentlicher Zu-ordnung. Diese Willkürlichkeit durchbricht den natürlich gegebenen Bezug zur Außenwelt und schafft Immaterialien und damit virtuelle Welten. Musik ist in Teilen eine virtuelle Welt, wo sie sich von der Formalisierung der Klangwahrnehmung im musikalischen Denken, oder ihrer Erscheinung als (kulturell überformtes) klangli-ches Korrelat des unmediatisierten körperlichen Ausdrucksverhaltens, wo sie sich allgemein von ihren Außenbezügen durch willentliche (oder hedonische) Gestaltung löst.