8.4 Musik, Medienkunst und Immaterialität 441 8.4 Musik, Medienkunst und Immaterialität Die Neue Kunst sei immateriell und Kunst des Denkens. Medienkunst hat die Wahr-nehmung der Wahrnehmung zum Gegenstand. Immaterialitäten sind »Vorstellungs«- Inhalte ohne Erfahrungen, ohne Referenzen zur Außenwelt (LYOTARD 1985). Eine Welt aus digitalen Codes ist in ihrer Potentialität immateriell; Abseits zeichenhafter Präsentation (vgl. LANGER 1942), abseits ikonischer Repräsentationen, sind Codes als willkürliche Zeichen immateriell, ihre willkürliche Gestaltung ist nur potentiell immateriell, sie ist an Denkweisen gebunden, diese sind aus Erfahrungen (vgl. HOLZ-KAMP 2000; LEVY 2000) der Körper-Umwelt-Interaktion hervorgegangen, somit materiell. Jedoch kann selbst das willkürliche Zeichensystem in seiner Willkürlichkeit als eingeschränkt betrachtet werden, wenn dieses als System der Aufzeichnung von Wahrnehmungsinhalten an diese angepaßt, aus ihnen hervorgegangen ist und zu-gleich diese auch schafft. Der digitale Code und die Notation stellen sich hinsichtlich ihrer Willkürlichkeit unterschiedlich dar. Codes sind Medien der Rekonstruktion wie Konstruktion der Wirklichkeit; ihre Willkürlichkeit und damit Immaterialität wirken sich darauf aus. Medienkunst thematisiert den Bezug potentieller Immaterialität von Wirklichkeit durch Codes und deren Bezug in Gestaltung und Rezeption mit Denkweisen, Musik – als Code- System nach beziehendem Denken gestaltet – thematisiert dies ebenfalls. Die Immaterialitäts-Diskussion wird in der Musik in Anlehnung an die autonome Musik geführt, sie berührt die Vorstellungen von der Immaterialität der digitalen Künste wie der Neuen Künste als Kunst des Denkens. Als autonome Musik ist ihr das Verständnis auf nichts außer auf sich selbst zu verweisen eigen; Immaterialität liegt zumindest in der Nähe dieses Verständnisses. Für RIEMANN ist Musik ein Geistesprodukt, das nur zum Zwecke der Kommu-nikation einer Idee klanglich vermittelt wird. Das Wesen der Musik sei, dass die »Vorstellung der Tonverhältnisse das Alpha und Omega der Tonkunst ist. Sowohl die Festlegung der tonkünstlerischen Schöpfung in Notenzeichen, als auch die klin-gende Ausführung der Werke sind nur Mittel, die musikalischen Erlebnisse aus der Phantasie des Komponisten in die des musikalischen Hörers zu verpflanzen« (RIEMANN 1914/15).Eine bestimmende Ästhetik der Klassik (HANSLICK 1854) weist (instrumentale) Musik als »tönend bewegte Form« aus, also als ein autonomes immaterielles Gebilde, für das es kein Vorbild in der Natur (keine materielle Größe) gebe, sondern nur die Aufgabe, Vermittler eines »ganz fremd Auszudrückenden« zu sein. Zudem besitzt Musik mehrere Existenzformen und ist nicht an die klangliche Realisierung gebunden; selbst das Konstrukt ist Musik. Er hätte auch damit überein gestimmt, dass Klänge keinesfalls etwas (abbildhaft) bezeichnen, oder dass sie etwas erzählen. Sie sind Hervorbringungen von Gegenständen (Artefakte deren Verhaltens und Tätigkeit); sie sind damit Ereignis-bestimmt! HEGEL knüpft an die phänomenale Charakteristik des Klangs die Spekulation, dass der Ton mit seinem Erklingen zugrunde gehe und nur mehr in der »Inner-lichkeit weiterexistiere«, im Medium der Subjektivität fortdauere – ähnlich einem Gedanken. Im Zusammenspiel des Akustischen und des Auditiven komme es zu