8.4 Musik, Medienkunst und Immaterialität 443 Musik ist ein Indikator (nicht kausalen) musikalischen Denkens. Stephen Mc- ADAMS (1987) vollzieht diesen Ansatz in Music: A science of the mind. Die Annähe-rung ist nur bedingt die des Behavioristen: Nicht musikalisches Verhalten, sondern die Hervorbringung eines Denkprozesses wird analysiert. Sprache und Musik könnten eine Analogie haben, die es aber nicht anzunehmen gilt, sondern zu prüfen. »A linguist searches for the neatest and most economical way of describing a langua-ge’s structure. A psycholinguist seeks the description with most closely resembles the psychological processes by which language is produced and understood. And so it must be for the psychomusicologist« (SLOBODA 1985, S. 11). Das Wie und Warum der Tiefenstruktur, die Grammatik der Oberflächenstruktur, die in ähnlicher Weise aber unabhängig voneinander CHOMSKY (1957, 1965, 1968) für die Sprache und SCHENKER (1935) zuvor für die Musik beschreiben, legt basale Prozesse des Denkens frei. Prozessuale und algorithmische Strukturierungen sind Versuche, diese Denksyste-me zu durchbrechen, Immaterialität in der Struktur durch Mediatisierung, durch Entfernung von der Körperfahrung zu erreichen. Die Rückkehr zur hedonischen Regelung und zur Gestaltung des Ausdrucksverhaltens hingegen ist die Fokussie-rung der sinnesspezifischen Denkweisen – Musik tut beides. Gerade in der digitalen Musik des Pop fließen beide Arten ineinander als unmediatisierter Umgang mit entmediatisiertem Material. Musik als System von Noten-Zeichen ist der Welt der Codes nahe und damit der Gestaltung nach den Gesetzen der Natur oder einer narrativen Logik enthoben. Richtig und falsch ist nach historisch gewordenen Regeln als Kriterium zu beurteilen – das Erleben von richtig und falsch bezieht sich auf die (implizite) Kenntnis dieser Gesetze. Einschränkungen dieser Willkürlichkeit sind gesellschaftliche Konventionen, tradiert durch deren Systeme. Zu einem weiteren Teil sind diese aber auch verwoben mit Ausdrucksverhalten, Wahrnehmungsweisen wie kommunikativem Verhalten, die als wahrscheinlichere Manifestationen ins musikalische Denken eingehen. Musik ist eine Kunst des Denkens – eines Denken, das auf den Erfahrungen des Verhaltens von Klang beruht und mit den daraus abgeleiteten Denkweisen Willkürlichkeit einschränkt Diese Koppelungen verringern nicht nur Willkürlichkeit, sie verhindern Immaterialität. Diese Beschränkungen verweisen auf eine basale Subjekt-Objekt-Relation, die dem Denken als auf der je sinnesspezifischen Erfahrung der Körper-Umwelt-Interaktion basierend allgemein anhaftet. Diese Beschränkungen verweisen auch darauf, dass das Codesystem Notation diese Relationen präsentativ und repräsentativ in sich trägt und damit selbst bereits referentiell ist; es impliziert das Denken über die im Zeichensystem (re-)präsentierte sinnliche Erfahrung. Alle Hervorbringungen des Code-Systems sind dann mit den spezifischen Bezügen des Hörens und des Denkens über das Hören, behaftet. Der digitale Code hingegen ist immateriell. Auf seiner tiefsten Ebene ist er durch zwei Zustände eines Ereignisses definiert, alle anderen Existenzformen sind Trans-formationen dieser und niemals aus die Regelhaftigkeit einer sinnlichen Erfahrung hervorgegangen. Umgekehrt jedoch kann das Digit unseren unterschiedlichen Senso-rien zugängliche Ereignisse unabhängig von sinnesspezifischer Wahrnehmung und Denkweise codieren – als common digit belegt es somit seine immaterielle Existenz.