8.5 Musik als willkürliche, prozessuale Gestaltung 445 entmediatisierte Information, abgekoppelt vom Ereignis selbst; reine Information, die nur von sich selbst kundet. Digitalisierung des Klanges erlaubt die Willkürlichkeit der Reihung der Zeichen für Klang auf die willkürliche Strukturierung des Klanges zu übertragen. Willkürliche Manipulationen der Reihentechnik sind auf die direkte Formung des Klanges selbst anwendbar. Ist der Krebs, also die Umkehrung des Klanges analog durch das verkehrte Abspielen der Aufzeichnung möglich, sind nun Dehnungen, Spiegelungen ohne andere Parameter des Klanges zu beeinflussen digital machbar. Natürliche Ordnungen werden durch willkürliche ersetzt. Digitale Künste und Musik sind Formkünste, sind »Künste des Denkens« wie LYOTARD (1985) die (post-)modernen Künste bezeichnet. Willkürliche, systemische Ordnungen stehen der Idee der absoluten Musik als dem Vollzug des beziehenden Denkens nahe. Ästhetisches Denken (WELSCH 1993) ist bereits wahrnehmungsbedingt mit kör-perlichen Bezügen zur Außenwelt behaftet – dies schränkt Immaterialität und Willkürlichkeit ein. Digitale Künste sind auch Körperkünste. Mit der Fassbarkeit der Strukturie-rung von Willkürlichkeit gehen hedonische Prozesse in die Strukturierung von willkürlichen Codes ein. Ein Erleben von angenehm oder nicht-angenehm ist durch den subjektiven Span-nungswert der syntaktischen Struktur von Zeichenfolgen und -systemen gegeben. Somit herrscht eine Referenz, ein Körperbezug selbst zur Anordnung von willkürli-chen Codes vor – gegenüber den Implikationen des mechanischen Körpers, die als entsprechende Erfahrungen in diese Welt der ab-bildenden Künste eingehen, werden die des hedonischen Körpers in der Reihung von Codes dominant – musikalischen wie (sinnesunspezifischen) digitalen. Strukturen werden über deren Erregungswert und das damit einhergehende Angenehmheitserlebnis reguliert, damit gehen motivationale Aspekte der Zuwendung einher – der re-defined Körper als hedonisches Regulativ erhält abseits idealistischer Ausgrenzung Einzug in die Kultur, die experimental aesthetics (BERLYNE 1970, 1971, 1974) als Theorie der Gestaltung struktureller Elemente erhält neuen Erklärungswert in der digital culture. Die hedonische Bestimmung ist zugleich Verstärker der Popularisierung jener Gestaltung und Rezeption und geht einher mit der Wendung der Künste von den zeichenhaften zu den funktionalen, von den medialen Künsten zu den sensorischen – hier finden sich nicht nur Berührungspunkte zur Popularkultur, sondern theoretische Annäherung der digitalen Künste und der populären, der digital culture und der popular culture als hedonistic culture. Mit der Möglichkeit der willkürlichen Gestaltung und ihrer daher abseits physika-lischer Bedingtheit hedonischen Regelung ist Hedonismus zur zentralen Gestaltung der digital culture geworden – hier und in der Instrumentarisierung des emotionalen Ausdrucksverhaltens liegt auch die Nähe zu Pop als körperdominierter Gegenhaltung zur idealistischen Rationalität. Technologie, ihre Verfügbarkeit und ihr amateuristischer Gebrauch sind die Mediatoren, die aus autonomer Musik, nach Regeln zusammengesetzt zu einem konsistenten Ganzen, über algorithmische, maschinelle bis hin zu kommunikativ prozessualen Vorgängen, zur Nutzung sozialer, wirtschaftlicher Prozesse und jener