8.5 Musik als willkürliche, prozessuale Gestaltung 449 aus der elektro-akustischen Musik übernommen, in die Pop-Musik geführt, das Patchwork-Arbeiten der Pop-Musik hat dies perfektioniert und über das Studio im Laptop ist dies wieder in die digitalen Musiken zurück geflossen. Patchwork ist eine entsprechende Kompositionssoftware des IRCAM, die diese Haltung bezeichnet. Im Unterschied zur linearen Live-Arbeit hat das Studio zunehmend die nicht lineare Arbeit an der Gestalt Musik und auch die von Zeit und Raum befreite kompositorische Produktionsform gebracht – die Objektivation des »beziehenden Denkens«. Die digitale Welt arbeitet nicht mit Originalen, sie ist gekennzeichnet durch stets und überall verfügbare Kopien. Gilles DELEUZE (1968) setzt dem Begriff Original das Simulakrum entgegen. »Dabei handelt es sich um Wiederholungen, die nicht identische Reproduktionen, sondern verschobene Darstellungen sind, die auf andere Wiederholungen verweisen, die ihrerseits schon Verschiebungen und Verstellungen vorgenommen haben« (DELEUZE 1968). »Entsprechend müsste sich [. . . ] der Blick nicht mehr einfach auf das Objekt richten, sondern auf die Reihen, in denen es steht, und auf die Beziehungen, die es unterhält. Die Verflechtungen der Simulakren sind wichtiger als dieses selbst« (WELSCH 1993, S. 210–211). Die Verschmelzung der seriellen Techniken mit dem durch die Reihung der Klän-ge hervorgerufenen aktivierenden Effekt überträgt das Element Hedonismus des Pop auf die Patterns der New Electronics, die Reihungen durch Copy&Paste- Klanggestaltung und -wahrnehmung nach dem Prinzip der Lustoptimierung definie-ren damit Digital Musics aus innerer Notwendigkeit und als einen ob der Gestaltung des willkürlichen Codes paradigmatischen Teil von digital culture. Technische Möglichkeiten der parallelen Steuerung und Lustoptimierung führen nicht zu einer als Crossover der Künste zu bezeichnenden Erscheinung der digital culture, sondern zu einem multisensorischen hedonisch spannungsgeregelten und damit grundlegend musikalischen Environment. Technoid prozessuale Reihungen werden aus der Audiogestaltung direkt auf die Gestaltung des abstrakten (bewegten) Bildes übertragen. Der Videosynthesizer ist die Parallelschöpfung zum entsprechenden Klanggerät. Nam June PAIK ist jener Pionier, der die Entwicklung der elektronischen dynamischen abstrakten Bildgestaltung bewusst auf seiner Erfahrung als Musiker betrieb. Da Codes keiner Subjekt-Objekt-Relation unterliegen, gelten für sie auch nicht die spezifischen Gesetzmäßigkeiten, die als Logiken des Sensorischen aus der Erfah-rung des Zusammenspiels von Reizen und Sinnesorganen erlernt werden, die in den sensorisch definierten Künsten formalisiert sind. Der digitale Code ist ein common digit, erst seine Realisierung durch Interfaces macht ihn in einem bestimmten Sin-nesbereich erfahrbar – ohne dessen spezifische Logik: pure Data, »reine Information« (McLUHAN 1995) ohne verweisenden Charakter (DIEDERICHSEN 1996), ohne medial zu sein. Der digitale Code des Computers stellt, so Jürgen CLAUS, ein »Grundalphabet« zur Verfügung, das den unterschiedlichsten Belangen dient und Klang, Sprache, Schrift und Bilder erzeugen, aufzeichnen, miteinander verknüpfen kann: »Damit steht dem elektronischen Bauhaus ein Grundcode [. . . ] zur Verfügung, von dem das geschichtliche Bauhaus nur träumen konnte. Die damals schon angestrebte Synthese, dass ›Denken in Relationen‹, wie es GROPIUS nannte, ist heute auf