8.6 Von den multimedialen zu den multisensorischen Künsten 451 8.6 Von den multimedialen zu den multisensorischen Künsten Die technische Möglichkeit, bedeutungsneutrale Codes in sensorisch fassbare Infor-mation und diese mit hoher Intensität zu konvertieren, macht diese Kunst – obwohl auf der Ebene der Codes von jeglicher Körperlichkeit gelöst – körperlich rezipierbar. Die Möglichkeit das common digit in mehrere Sinnesbereiche dieserart zu über-führen, schafft multisensorische Künste – abseits der multimedialen Künste, die Informationsübertragung am Modell der vermittelnden Zeichen beispielsweise der Sprache beanspruchen, sind multisensorische Künste funktionale mehrfach parallele Stimulationen und darin Steigerung der Stimulations-Intensität, der Immersion. Mehrfachkonvertierung von elektrischen Spannungen und common digits machen dieserart strukturierte Willkürlichkeit multisensorisch erfahrbar – eine virtuelle Situation erhält damit erhöhten immersiven Charakter, da sie sich an solche in real erfahrbarer Umwelt erlernte multisensorische Verarbeitung von Eindrücken durch Wahrnehmungstätigkeit annähert und sich in diese nahtlos integriert. Diese Integration des Körpers über mehrere seiner Sinne wird durch Bewegungsinterfaces in real-life-events nochmals verstärkt – eine entsprechend der erweiterten Körper- Umwelt-Interaktion hohe Form der Involvierung in virtuelle Welten. Mit der Abkehr vom mehrfachkodiert zu verstehenden Zeichen zum mehrfach sensorisch erfassbaren Stimulans wurde Multimedialität zur Multisensoralität. Funk-tionale Verbindungen von Stimulusintensität und Reihenfolgeeffekten des Drivings sind von bedeutungsneutralen akustischen Stimuli im Laufe des 20. Jahrhunderts auf visuelle abstrakte syntaktische Elemente übertragen worden; Arbeiten von Roichj Ikeda basieren auf der gemeinsamen Steuerung. Obwohl minimalistisch in der Strukturierung, sind die einzelnen Stimuli von hoher Intensität, starker Figur- Grund-Bildung, abseits des alleinigen Verständnisses von hoher Lautstärke und Dichte, nicht dem Rauschen nahe, sondern der totalen Prägnanz; die Arbeiten von Konrad Becker übertragen diese Dichte und damit im WUNDT’schen (1874) Sinne unmittelbar Erregung induzierende Intensität auf zugleich auditive und visuelle Stimuli: sie sind somit multisensorisch und darin gesteigert immersiv. Die Emanzipation von high intensities ist aus dem Pop in die Avantgarde ge-drungen: Lautstärke wird mittlerweile als musikalischer Parameter gewertet. Die Arbeiten von Rhys Chatham und Glenn Branca im Gehabe des Post-Punk nutzen und strukturieren Lautstärke zum betörenden Rauschen, Figur-Grund-Bildungen verschwimmen in Klangmassen. Tonschichtung und Polyrhythmik sind derart dicht (und damit intensiv), dass sich der Hörer diesen Klangmassen nicht entziehen könne (kritisierte CAGE). Sound informiert nicht nur, Sound verweist nicht nur, Sound erregt nicht nur, Sound involviert, er umhüllt räumlich, er zieht emotional mit – Sound macht den Hörer/Seher im multisensorischen Event zum Partizipienten – Sound wirkt damit als psychologisches Interface. Hinweise darauf gibt es aus dem Sound-Design im Film,13 13 Im Film Taxi Driver wurde eine Szene ob des Sounds zensuriert! In der Soundarbeit wurde ein Pistolenschuss mit einem tief frequenten Kanonenschuss gemixt. »Und wahrscheinlich fühlt es sich genauso an, wenn man selber die Waffe in der Hand hält. Ich glaube, die Zensoren haben gemerkt, dass durch den Sound die subjektive Position des Schützen eingenommen wurde. Du fühlst den Rückstoß, weil du die Waffe hältst, und daher ergreifst du Partei von