8.7 Musik als modellbildendes Medium einer Theorie der Neuen Künste 453 mender Ereignisse. Ist Musik als Codesystem die Formalisierung der Wahrnehmung, dann legt sie einen dem auditiven zugängigen Ausschnitt von Wirklichkeit frei. Dieser Ausschnitt scheint ein Wahrnehmungsparadigma zu sein, das der Wirk-lichkeitsmutation durch die zwei dominanten technologischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts entspricht, der Beschleunigung und damit der Veränderung von Zeit und Raum sowie der Codierung der Umwelt und damit ihrer Virtualisierung. Diese Wirklichkeitsveränderung irritiert und entzieht sich einer mechanischen akti-ven Körper-Umwelt-Interaktion. Das Paradigma der phylogenetisch bedeutsamen Überlebensstrategie in einer digital culture ist hedonisch. Musik ist die Formalisierung einer Er-Lebensart, die die Bedingungen der digital culture ausmachen: eine entkörperlichte Lebensart, eine Lebensart abseits jener mechanischen Denkweisen, die wir aus der physikalisch handelnden Körper-Umwelt- Interaktion gewinnen. Mechanische Vorstellungen, die in die Instrumentarisierung des Ausdrucksverhaltens der Musik noch eingehen, sind in der Regelung ihres willkürlichen Code-Systems überwunden, als relationales Denksystem ist sie dem Prinzip von Spannung-Lösung untergeordnet. In der Musik längst vollzogen, tritt eine allgemeine Umbewertung des mechanischen Körpers zugunsten seiner hedonischen Fähigkeiten in einer Kultur ein, in der nicht das Herstellen, sondern das Auswählen aus dem Machbaren, dem Verfügbaren Strategien der Lebensbewältigung sind, das Auswählen nicht von funktionalen, sondern von apragmatischen und diese Prozesse sind grundlegend hedonisch geregelt. Die Musik ist vielfach durch Medien geprägt. Medientechnologie wie Distribution über Medien sind Generierungsmethoden der Musik, der Neuen Medienkünsten und werden in beiden theoretisiert, in der Medienkunst und im soziologischen Bereich der Systematischen Musikwissenschaft wo in Weiterführung des WEBERschen Ansatzes (1921), dass zweckrationales Handeln, mit der Erfindung von Instrumentarien, dem temperierten Klavier, und der Notation zu arbeitsteilig entstehenden musikalischen Werken geführt habe, dass zweckrationales handeln heute weiterhin zur Ausbildung von Instrumentarien und (technischen) Medien führe, die ästhetische Aspekte der Musik und soziale Prozesse im wechselseitigen Bezug stehend beeinflussen, was BLAU-KOPF (1989) und SMUDITS (1988a, b, 2002a, b) als Mediamorphose bezeichnete. Diese Metamorphose musikalischen Geschehens über medientechnische Entwick-lungen ist zuerst auf elektronische und später auf digitale Medien bezogen worden, sie lässt sich allgemein auf die Ausbildung von Kulturtechniken, von Medien als Folge der Motivation zu zweckrationalem Handeln konstatieren. Musik ist ein Me-diatisierungsphänomen, das sich vom unmittelbaren Ausdrucksverhalten über die gestische Überhöhung entwickelte, die letztlich in die Notation Einzug fand, was dann über die Ausbildung von Notationsformen – die solches kommunikatives Ver-halten objektivierten und am wohltemperierten Klavier visualisierten und verfügbar gemacht vollzogen – das Werk als dem beziehenden Denken Zugängliches entstehen ließ, abseits des flüchtigen klanglichen kommunizierenden Musizierens (WEBER 1921, KADEN 1985). Schließlich führt die Mediatisierung des Klanges, seine Entkoppelung auch von der Instrumentarisierung körperlichen Verhaltens durch die Speicherung und Distribution zu spezifischen musikalischen Formen, letztlich hat die Digitalisie-rung des Klanges auch diesen nur mehr der Willkürlichkeit des Codes unterwerfbar