Spitz- und Rundtürmen. Durch die Aufstellung der Pfeifen in Spitz- und Rundtürmen kam nun ein ungemein lebhafter Rhythmus in die flächenhafte Starre der Orgelstruktur, eine Eleganz und schwingende Bewegung. (wie sie nur den norddeutschen Orgeln fremd geblieben zu sein scheint.)[1] Damit war die Schauseite der Orgel um eine Gestaltung bereichert, die sich aus der Suche nach zweckmäßiger Aufreihung der Pfeifen ergab, zugleich aber eine Hauptzierde des Prospekts bilden sollte. Denn nun fand das Schnitzornament auch an der Orgel Gelegenheit, sich auszuwirken. Tischlerei und Schnitzkunst der Spätgotik hatten, vom Chorgestühl ausgehend, einen ganz eigenen Stil auf alle Gegenstände ihres Wirkungskreises übertragen. Säulchen, Gesimse, Krabben, Fialen, Kreuzblumen und Wimperge wurden in verkleinertem Maßstabe nachgeahmt. Das Ergebnis war eine hölzerne Kleinarchitektur, die mit dem Ende des 15. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. Wir befinden uns in der Zeit der großen Holzschnitzer Jörg Syrlin, Tilman Riemenschneider, Benedikt Dreyer, Bernt Notke u.a.[2] Die spätgotische Orgel war zu einer allgemein-künstlerischen Angelegenheit geworden, in der nicht nur die Musik, sondern auch die Bildhauer- und Holzschnitzkunst, die Malerei und zuweilen auch die Architektur eine Rolle spielten. Wenn gesagt worden ist, daß Spitzbögen, Pfeiler, Giebel u. a. den gotischen Arbeiten in Holz, insbesondere beim Orgelprospekt wesensfremd gewesen seien, weil der Steinarchitektur entlehnt, so gilt dies für den Ein- und Aufbau der Pfeifen, wie ihn die Neugotik des 19. Jahrhunderts fälschlicherweise als „Gehäuse\" empfand, nicht aber für die spätgotische Holzschnitzerei und Ornamentik. Diese kannte sehr wohl Wimperge, Spitzbögen, Fialen, aber eben nur als Ornament, zur Füllung der Zwischenräume, zur Bekrönung der Türme (das „Gespreng\"), in den Lücken zwischen den vorspringenden Pfeifenfüßen, an den Konsolen, die die Türme tragen, sie ist, wie das Schnitzwerk der Altaraufsätze, Gotik en miniature.[3] —————————— [1] . Für Schlesien (St. Elisabeth-Breslau) der Kontrakt einer Orgel von Stephan Kaschendorf „mit zweyen Ausladungen und thürmen\" von 1460 bei Burgemeister p. LXII.[2] . Von Benedikt Dreyer stammen die Schnitzereien am Prospekt der großen Marienorgel in Lübeck.[3] . V. Quast, Orgeln des Mittelalters (Zeitschrift für Bauwesen) Berlin 1853 S. 43. – Mund S. 115. – Interessante Beispiele für diese hölzerne Miniaturgotik bieten die Orgelprospekte von St. Nikolaus, Utrecht (Rijksmuseum, Amsterdam) 1480, St. Vitus, Naarden (abgebrochen 1862; Bild im Rijksmuseum), Jutfaas, Alkmaar..-14-