erscheinen, daß sich in den Vorlagebüchern des Kunstgewerbes jener Zeit der Orgelprospekt kaum behandelt findet.[1] Der Orgelprospekt selbst ist noch nicht zum Ornament geworden, als das ihn die Innenarchitekten ebenso wie die Orgelbauer des 18. Jahrhunderts auffaßten. Er ist noch und gerade bei Arp Schnitger festgefügte Form, und seine Anlage ergibt sich aus dem Aufbau der einzelnen „Werke.\" Nur das Ornament verlangt stilistische Überlegungen. Die Orgelbauer führen den in allen Teilen klarliegenden Aufbau der Orgel aus, die Schnitzer fügen den ornamentalen Zierrat hinzu Auf diese Weise wurde der Orgelprospekt zu einem monumentalen Gebilde, dessen Erscheinung, soweit noch vorhanden, eine unvergleichliche Würde ausstrahlt. Das trifft vor allem für den norddeutschen Orgelprospekt zu. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tritt der werkgerecht gegliederte norddeutsche Orgelprospekt führend und beispielgebend in den Vordergrund. Die Kirchen und Dome der Hansestädte in der norddeutschen Tiefebene bis nach Jütland hinauf, wie der benachbarten Niederlande, unwirklich groß im Dunst von Nebel und Meeresluft aufragend, ließen Orgeln erstehen, in deren Prospekten die architektonische Kraft dieser Bauwerke noch einmal lebendig zu werden schien. Die Prospektleistungen der norddeutschen Orgelbauer Scherer, Bokelmann, Kröger, Friese, Compenius, Stellwagen und Schnitger sind nach Landschaft und Stil, nach Konfession und Temperament ein kunstgeschichtliches Phänomen, das nur im süddeutschen Ornamentprospekt des 18. Jahrhunderts sein einzig kongeniales Gegenstück besitzt.[2]——————————[1]Das früheste Vorlagewerk für Orgelprospekte, das das Berliner Kunstgewerbe-Museum besitzt, stammt aus dem Jahre 1615. Es ist enthalten in Caus, Les Raisons des Forees Mouvantes Traitant de la Fabrique des Orgues. – Das nächste stammt erst aus dem Jahre 1698. Vgl. P. Jessen,Katalog der Ornamentstich-Sammlung des Kunstgewerbe-Museums Berlin. Leipzig 1894 S. 133.[2] Wenn Wörsching behauptet, daß „süddeutsche Meister (Karl Riepp, Andreas Silbermann und Johann Andreas Silbermann) handwerklich, qualitativ und künstlerisch den alten Orgelbau Norddeutschlands um ein wesentliches übertreffen, daß auch in der Orgelbaukunst die Höchstleistungen des Barock in Süddeutschland zu suchen sind,\" und daß ferner „die süddeutsche Orgelkultur eine den norddeutschen Orgelbau weit überragende Vielgestaltigkeit besitze,“ so verfällt er derselben Einseitigkeit, die er den Entdeckern und Worthaltern der norddeutschen Barockorgel – mit oder ohne Recht – vorwirft. Was den Orgelprospekt betrifft, so kann es sich bei seiner Betrachtung niemals um ein „Entweder – Oder\", sondern immer nur um ein „Sowohl – Als auch\" handeln. Auch der konfessionell gebundene Beurteiler wird nicht bestreiten [Forts. S. 36]-35-