- 15 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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FORM UND TECHNIK

VON

ERNST CASSIRER


Wenn man den Maßstab für die Bedeutung der einzelnen Teilgebiete der menschlichen Kultur in erster Linie ihrer realen Wirksamkeit entnimmt, wenn man den Wert dieser Gebiete nach der Größe ihrer unmittelbaren Leistung bestimmt, so ist kaum ein Zweifel daran erlaubt, daß, mit diesem Maße gemessen, die Technik im Aufbau unserer gegenwärtigen Kultur den ersten Rang behauptet. Gleichviel ob man diesen “Primat der Technik” schilt oder lobt, erhebt oder verdammt: seine reine Tatsächlichkeit scheint außer Frage zu stehen. Die gesamte Energie der gestaltenden Kräfte unserer gegenwärtigen Kultur drängt sich mehr und mehr auf diesen einen Punkt zusammen. Selbst die stärksten Gegenkräfte der Technik – selbst diejenigen geistigen Potenzen, die ihr, nach Gehalt und Sinn, am fernsten stehen — scheinen ihre Leistung nur noch dadurch vollbringen zu können, daß sie sich mit ihr verbinden, und daß sie in eben diesem Bündnis sich ihr unmerklich unterwerfen. Diese Unterwerfung gilt heute vielen als das eigentliche Ziel, dem die moderne Kultur entgegengeht, und als ihr unaufhaltsames Schicksal. Aber auch dann, wenn man diesen Gang der Dinge nicht beschränken und nicht aufhalten zu können meint, bleibt doch ihm gegenüber noch eine letzte Frage zurück. Es gehört zum Wesen und zu den Grundbestimmungen des Geistes, daß er auf die Dauer keine schlechthin-äußere Determination erträgt und duldet. Selbst dort, wo er sich einer fremden Macht überantwortet und seinen Fortgang durch sie bestimmt sieht, muß er zum mindesten in den Kern und Sinn dieser Bestimmung selbst einzudringen suchen. Und damit hebt sich ihm sein Schicksal selbst wieder in Freiheit auf. Wenn er die Macht, der er unterliegt, nicht von sich abzuwenden und nicht zu bezwingen vermag, so verlangt er doch, eben diese Macht zu erkennen und sie als das, was sie ist, zu sehen. Und immer wieder zeigt sich alsdann, daß dieser Forderung, wenn mit ihr wahrhaft Ernst gemacht wird, keine bloß “ideelle” Bedeutung innewohnt, daß sie nicht im Reich “bloßer Gedanken” verharrt. Aus der Klarheit und Bestimmtheit des Sehens geht eine neue Kraft des Wirkens hervor: eine Kraft,


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