- 17 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Berührungen, die sich zwischen dem Gebiet der Technik und dem der Philosophie ergeben haben, beweisen keineswegs, daß zwischen beiden irgendeine innere Gemeinsamkeit sich anzubahnen und herzustellen beginnt. Eine solche Gemeinschaft kann niemals aus einer bloßen Summe äußerer “Einflüsse” resultieren — so mannigfach und so stark man diese auch immer denken mag. Die Verbindung, die Philosophie und Technik in den Systemen des Positivismus und Empirismus miteinander eingegangen sind — man braucht etwa nur an das Machsche Ökonomieprinzip als Grundlage der Erkenntnislehre zu denken — darf nicht den Schein einer wahrhaften Einigung zwischen beiden erzeugen. Eine solche wäre erst erreicht, wenn es der Philosophie gelänge, auch an diesem Punkte die allgemeine Funktion zu erfüllen, die sie für die andern Grundgebiete der Kultur in steigendem Maße und mit immer klarerem Bewußtsein erfüllt hat. Seit den Tagen der Renaissance hat die Philosophie alle Mächte des modernen Geistes vor ihr Forum gezogen und sie nach ihrem Sinn und Recht, ihrem Ursprung und ihrer Geltung befragt. Diese Frage nach dem Geltungsgrund, nach dem quid juris, wie Kant sie nennt, ergeht an alle geistigen Formprinzipien — und in ihr wird erst der Grund ihrer spezifischen Eigenart aufgedeckt, wird ihr Selbst-Sinn und Selbst-Wert entdeckt und sichergestellt. Solche Sicherstellung, solche “kritische” Besinnung und Rechtfertigung, ist der Philosophie für die Mathematik, für die theoretische Naturerkenntnis, für die Welt des “Historischen” und der Geisteswissenschaften gelungen. Wenngleich auch hier ständig neue Probleme aufbrechen, wenngleich die Arbeit der “Kritik” nirgends an ein Ende gelangt, so steht doch die Richtung dieser Arbeit seit den Tagen Kants und seit seiner Grundlegung der “Transzendentalphilosophie” für uns fest. Die Technik aber ist diesem Kreis der philosophischen Selbstbesinnung noch nicht wahrhaft eingeordnet. Sie scheint noch immer einen eigentümlich peripheren Charakter zu behalten. Mit dem Wachstum ihres Umfangs hat ihre eigentliche Erkenntnis, hat die Einsicht in ihr geistiges “Wesen”, nicht Schritt gehalten. Eben in diesem Mißverhältnis, in dieser Ohnmacht des “abstrakten” Denkens, in den Kern der technischen Welt einzudringen, liegt ein Grundmotiv für die innere Spannung und Gegensätzlichkeit, die in den Bildungstendenzen unserer Epoche besteht. Eine Lösung dieser Spannung kann niemals auf dem Wege der Angleichung der Extreme und eines bloßen Kompromisses zwischen ihnen erhofft und gesucht werden. Der


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