- 183 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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SPRACHE UND TECHNIK

VON

VILMA MÖNCKEBERG



Der Einbruch der Technik in die Sprache beginnt mit der Erfindung der


Schrift.


Der Affektschrei und die Ausdrucksbewegung führten zu den ersten Sprachäußerungen, das Mitteilungsbedürfnis zur Ausbildung sprachlicher Formen, Gestaltungsdrang zur Dichtung. Die Sprache war die erste Grundlage für jegliche Kulturentfaltung; doch ist das Wesen jeder sprachlichen Äußerung flüchtig, sie entsteht und vergeht, kein späterer Augenblick kann sie festhalten und weitergeben. Sie ist an das Dasein des Menschen gebunden, eine Wirkung ohne seine Gegenwart bleibt ihr versagt. Da schuf sich der menschliche Geist das dauernde sichtbare Zeichen, das losgelöst von der Person über Zeit und Raum hinaus existent bleibt. Erst diese Zeichen gewährleisteten die dauernde Bewahrung geistiger Schätze, die Aufspeicherung von Kulturgütern für spätere Zeiten. Wir denken gewohnheitsmäBig dabei an unsere Laut- und Buchstabenschrift, doch ist diese nur eine und die abgeschliffenste Form von vielen Formen der Nachrichtenübermittlung, die sich die Menschheit ersann.


Zu den ersten Formen primitivster Mitteilungen gehören zeichnerische Versuche. Diese Zeichnungen stellten Gegenstände oder einen Vorgang dar und sollten der Mitteilung oder der Erinnerung dienen. Sie sind der Beginn einer Bilderschrift, aber noch keineswegs Symbole und Zeichen für feste sprachliche Abfolgen. Sie sind nur Abbilder, die sich der Beschauer in seine Sprache übersetzen kann. Erst später verbindet sich das Bild mit bestimmten sprachlichen Abfolgen, sei es ein Satz, ein Wort, eine Silbe. Diese Gleichsetzung der Bilder mit Sprachwerten führte zur Stilisierung, zur Vereinfachung, zur Beschränkung und Andeutung der Bildzeichen und schließlich zur völligen Schematisierung. Die Abschleifung des eigentlichen Bildinhaltes ging bei der Buchstabensprache so weit, daß der ursprüngliche Bildsinn vollkommen aus dem Bewußtsein verschwunden ist. So kann die Schrift kaum als eine Erfindung angesprochen werden, vielmehr ist sie eine


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