- 299 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (298)Nächste Seite (300) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



ALLGEMEINE MUSIKALISCHE PROBLEME DES RUNDFUNKS

VON

HERMANN W. VON WALTERSHAUSEN


Ist es möglich, daß eine geistige Entwicklungslinie entscheidend durch außergeistige Elemente beeinflußt oder abgebogen wird? Kann der Zufall einer Erfindung, einer Entdeckung auf außermusikalischem Gebiet Weiterungen erzwingen, die primär nicht im Wesen der Musik liegen? Ist es überhaupt denkbar, daß die Entdeckung der drahtlosen Welle und deren technischer Verwertung, die an sich beide nichts mit Kunst zu tun haben, eine Revolution auf dem Parnaß oder gar in der weltfernen Zelle der heiligen Cäcilia hervorrufen können?  Gibt es, wie Max Weber gemeint hat, rationale und soziologische Grundlagen der Musik?


Solche Fragen sind gerade heute im Zeitalter einer fast die ganze Welt durchdringenden gesellschaftlichen Umschichtung, in dem der täglichen Überraschung durch neue Situationen, sehr oft diskutiert worden. So hat man schon früh das Radio eine “Erfindung des Teufels” genannt und spricht von einer Zersetzung des Geistigen durch ungeistige Kräfte. Auf der andern Seite wird geradezu an die Kunst die Forderung gerichtet, das Tempo der täglich sich überstürzenden Neuerungen mit der Verwandlungsfähigkeit eines Proteus mitzumachen. Der Kampf um die Radiomusik ist vielfach sogar in die politisch orientierte Debatte hereingezogen worden. Man spricht hier wie an andern Orten geradezu von einem Endkampf zwischen Geist und Materie, zwischen spiritualistischer und materialistischer Weltanschauung. Was ist nun an allen diesen Dingen Wahres?


Wir können uns die Klärung dieser Fragenkomplexe dadurch erleichtern, daß wir von einem zweifellos dem Radio nah verwandten Gebilde, dessen Entwicklung wir schon über eine weitere Spanne Zeit hinaus verfolgen können, vom Film, ausgehen. Die Kinematographie ist ebenfalls eine geniale Erfindung, die zunächst nichts mit Kunst zu tun hatte. Zweifellos hat nicht die Kunst sich ihrer zuerst bemächtigt, sondern sie ist in die Sphäre der Kunst eingedrungen, und zwar mit der Wildheit einer skrupellos plündernden Soldateska. Sehr bald vollzog sich aber das Schicksal aller Eroberer, die auf älterem und stärkerem


Erste Seite (1) Vorherige Seite (298)Nächste Seite (300) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 299 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik