- 73 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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4. Interdisziplinäre Ansätze zur Erklärung strukturellen Verstehens von Musik

4.1 Zur Übertragung psycholinguistischer Ansätze auf die musikpsychologische Verstehensforschung

Als Systeme regelhaft aufeinander bezogener Einheiten besitzen Sprache und Musik gerade auf der syntaktischen Ebene viele Gemeinsamkeiten (s. Kap. 2). Ausgehend von dieser Erkenntnis und in der Hoffnung auf differenziertere Analysemöglichkeiten, ist man seit den siebziger Jahren verstärkt dazu übergegangen, musikalische Strukturen mit dem methodischen Repertoire der Linguistik darzustellen. Dieses Vorgehen fand nicht nur ungeteilte Zustimmung, zumal den strukturellen Besonderheiten der Musik häufig nicht genug Rechnung getragen wurde (s. Gruhn 1989, S.114). Im Laufe der Zeit sind jedoch auch musikalisch-syntaktische Beschreibungsmodelle entstanden, die nicht nur "blind" linguistische Methoden übernommen, sondern sie auch an die besonderen syntaktischen Merkmale der Musik adaptiert und entsprechend weiterentwickelt haben (z.B. Lerdahl/Jackendoff 1983; s. Kap. 4.4).
So wie die Psycholinguistik erhebliche Impulse von der Grammatiktheorie Chomskys empfangen hat, greift man auch in der kognitiven Musikpsychologie in jüngster Zeit häufig auf die o.g. deskriptiven Strukturbeschreibungen zurück, die dann

"[...] Eingang finden in die Bildung von Hypothesen zu strukturellen Aspekten der Verarbeitung beim Hören von Musik, und Aufgabe der Musikpsychologie wäre es, die Nützlichkeit solcher Hypothesen im Rahmen einer Theorie der Verarbeitung und Repräsentation musikalischer Strukturen zu beurteilen." (Stoffer 1985a, S. 148)

Wie komplex das musikalisch-syntaktische Wissen von Hörern z.T. sein kann, zeigt sich z.B. daran, daß sogar stilistische Eigenarten von Komponisten der gleichen Epoche unterschieden werden können. Sicherlich ist das strukturelle Wissen von Hörer zu Hörer unterschiedlich stark ausgeprägt. Für die ästhetische Sinnkonstitution hat jedoch das Erkennen der syntaktischen Funktionen einer Komposition eine besondere Bedeutung (s. Kap. 2.3.2.2). Dies verdeutlicht das folgende Schema, das in Anlehnung an Chomskys Idee einer generativen Transformationsgrammatik entworfen wurde:


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