trefflicher Improvisator auf der
Orgel.«
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Hugo Riemanns Musiklexikon, 9. vom Verfasser noch vollständig umgearbeitete Auflage nach
seinem Tode (10. Juli 1919) fertiggestellt von Alfred Einstein, Berlin 1919, S. 663.
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Gut vier Jahrzehnte später ist in der 12. Auflage dieser Text leicht, aber bezeichnend
verändert: »L. war ein ausgezeichneter Musiker, besonders als Improvisator auf der
Orgel. Als Komponist in Deutschland seinerzeit durch das Salonstück ,Les cloches du
monastère‘ (Klosterglocken) berüchtigt, hat er sich auf fast allen Gebieten
betätigt.«
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Riemann Musik Lexikon, 12. völlig neu bearbeitete Auflage hg. von Wilibald Gurlitt.
Personenteil L–Z, Mainz 1961, S. 45.
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Leo Kestenberg hatte schon 1921 »eine leichte, salonartige, kitschige oder
coupletmäßige Literatur, die in unzähligen Exemplaren in zweifelhafte Musikschulen
und Konservatorien wandert«, gegeißelt. »Die ernste, große, geistige Literatur
verlangt Fachleute, Berufsmusiker, Künstler. Die leichte Salonmusik im Zuschnitt
der ,Klosterglocken‘ und des ,Gebets einer Jungfrau‘ hingegen steht jedem
offen, der sich die Anfangsgründe angeeignet hat. Zwischen diesen beiden zu
unterscheiden, gelingt dem großen Publikum zumeist nicht, und so blühen in
allen Städten die Winkelschulen auf, die die musik- und spielhungrige Menge
aufnehmen.«13
Leo Kestenberg, Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921, S. 49.
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Überraschend ist Kestenbergs Auffassung, Jungfrauengebet oder Klosterglocken seien
dem Klavierspieler schon nach Aneignung der »Anfangsgründe« zugänglich,
ist doch die technische Schwierigkeit dieser Piècen nicht ganz unerheblich. Es
ist für den emphatischen Musikbegriff Kestenbergs aber wohl nicht primär
der rein spieltechnische Anspruch, der die Unterscheidung zwischen der
»großen« und der »leichten« Musik ausmacht. Die »ernste, geistige« Musik ist
es, die den Künstler fordert und die Musikwissenschaft als Kunstwissenschaft
beschäftigt.
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Carl Dahlhaus (Die Musik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1980, S. 265 ff.) hat die
Klosterglocken im Kontext einer Ästhetik der Trivialmusik erörtert.
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Eine Musikpädagogik, die sich nicht mehr primär der Pflege des Erbes der Kunstmusik
verpflichtet sieht, hat in den letzten Jahrzehnten die Salonmusik ebenso wiederentdeckt
wie die Orgelwelt, die neben dem klassischen Orgelstil, für den immer noch der
Name Bachs einsteht, die versunkene Welt der mondänen, »sensualistischen«
Orgel des Second Empire auferstehen lässt. Diese Epoche war ja in Frankreich
weniger aristokratischen als vielmehr bürgerlichen Charakters. Wie die in den
letzten Jahren einander rasch folgenden Neuauflagen der Neueditionen von
Lefébures Orgelwerk ebenso belegen wie zahlreiche Einspielungen, widmen sich viele
Organisten inzwischen der Musik Lefébures mit großem Enthusiasmus. Diese
Renaissance eines Zweiges »bürgerlicher Musikkultur« ist offenbar nicht nur von dem
Bedürfnis motiviert ist, deren »Geschmacks- und Werturteile über Musik zu
diskutieren«15
Sabine Schutte / Johannes Hodek, Vorwort der Herausgeber, s. Anm. 1, S. 7.
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,
sondern auch von dem Bestreben, sich an dieser Ästhetik zu ergötzen, wobei offen bleibt,
inwiefern dieses Vergnügen ein unbefangenes oder ein intellektuell ironisierendes
ist.