Hartmuth
Kinzler
Chopins
G-Moll-Ballade, ein Opus XXIII
Lose
zusammenhängende analytische und interpretatorische Bemerkungen
sowie
einige Überlegungen zum Verhältnis von Analyse und Interpretation
Für
Ingolf Henning, bei dem ich für Ausführungen
wie die folgenden am ehesten auf Verständnis
hoffen kann.
Die
aus der Reinhard Kappschen These1
1
Reinhard Kapp, 23 Thesen. Musikalische Analysen und Interpretationen
betreffend, in: Österreichische Musikzeitschrift, 41.
Jg. (1986), H. 10 (Okt.), S. 500.
|
, ohne Analyse sei keine sinnvolle
Interpretation möglich, ableitbare Forderung nach einer Art Arbeitsteilung
zwischen Musikwissenschaftler und Interpret wird in der Wirklichkeit kaum eingelöst,
und zwar aus den verschiedensten Gründen. Aus der Sicht des Interpreten
kann, je nach dessen Temperament und Ästhetik, Analyse begriffen werden
als etwas, das er je schon selbst durchgeführt hat, als etwas, das als
blutleer angesehen die eigene Spontaneität einschränkt, oder, der
vermutlich häufigste Fall, als etwas, das – von anderen erstellt
– an die Musik bzw. an das, was den Spieler im konkreten Fall des Spiels
oder dessen Vorbereitung – das Erarbeiten der Interpretation – beschäftigt,
nicht oder nur unzulänglich heranreicht. Die Arbeit des Musikwissenschaftlers
möge – bitte schön – beschränkt bleiben auf die Untersuchung
von Quellenfragen und Notentexterstellung oder ähnliches, etwa im Rahmen
von Gesamtausgaben oder vergleichbaren Unternehmungen, aber sich fernhalten
von irgendwelchen Fragen einer womöglich normativen Interpretationsästhetik,
wenn man nicht gar den Weg vom Komponistenmanuskript oder dessen Fotokopie zum
verbindlichen Text als Interpret lieber noch einmal selbst durchschreitet, da
man fremder Hand in jedem Falle – zu Recht oder zu Unrecht – mißtraut.
In
der Tat ist denn auch vieles, was Musikwissenschaft über Stücke
in ästhetischer oder auch analytischer Hinsicht zu sagen weiß,
für das Hier und Jetzt des Spielens wenig hilfreich. So bleibt es für
den Interpreten eher zweitrangig, ob der Chopinschen G-Moll-Ballade –
dies eine der zentralen Fragen der älteren einschlägigen analytischen
Literatur – nun die Sonatenhauptsatzform zugrunde liegt oder nicht;
auch läßt sich aus dem Diagramm einer Analyse nach Schenker oder
der Chiffrierung des Notentextes mit Riemannschen Funktionssymbolen kaum unmittelbar
ein Kriterium dafür gewinnen, ob dieser oder jener Ton lauter oder
|