- 96 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (95)Nächste Seite (97) Letzte Seite (169)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Hartmuth Kinzler



Chopins G-Moll-Ballade, ein Opus XXIII


Lose zusammenhängende analytische und interpretatorische Bemerkungen

sowie einige Überlegungen zum Verhältnis von Analyse und Interpretation


Für Ingolf Henning, bei dem ich für Ausführungen wie die folgenden am ehesten auf Verständnis hoffen kann.


 

Die aus der Reinhard Kappschen These1

1 Reinhard Kapp, 23 Thesen. Musikalische Analysen und Interpretationen betreffend, in: Österreichische Musikzeitschrift, 41. Jg. (1986), H. 10 (Okt.), S. 500.

, ohne Analyse sei keine sinnvolle Interpretation möglich, ableitbare Forderung nach einer Art Arbeitsteilung zwischen Musikwissenschaftler und Interpret wird in der Wirklichkeit kaum eingelöst, und zwar aus den verschiedensten Gründen. Aus der Sicht des Interpreten kann, je nach dessen Temperament und Ästhetik, Analyse begriffen werden als etwas, das er je schon selbst durchgeführt hat, als etwas, das als blutleer angesehen die eigene Spontaneität einschränkt, oder, der vermutlich häufigste Fall, als etwas, das – von anderen erstellt – an die Musik bzw. an das, was den Spieler im konkreten Fall des Spiels oder dessen Vorbereitung – das Erarbeiten der Interpretation – beschäftigt, nicht oder nur unzulänglich heranreicht. Die Arbeit des Musikwissenschaftlers möge – bitte schön – beschränkt bleiben auf die Untersuchung von Quellenfragen und Notentexterstellung oder ähnliches, etwa im Rahmen von Gesamtausgaben oder vergleichbaren Unternehmungen, aber sich fernhalten von irgendwelchen Fragen einer womöglich normativen Interpretationsästhetik, wenn man nicht gar den Weg vom Komponistenmanuskript oder dessen Fotokopie zum verbindlichen Text als Interpret lieber noch einmal selbst durchschreitet, da man fremder Hand in jedem Falle – zu Recht oder zu Unrecht – mißtraut.


In der Tat ist denn auch vieles, was Musikwissenschaft über Stücke in ästhetischer oder auch analytischer Hinsicht zu sagen weiß, für das Hier und Jetzt des Spielens wenig hilfreich. So bleibt es für den Interpreten eher zweitrangig, ob der Chopinschen G-Moll-Ballade – dies eine der zentralen Fragen der älteren einschlägigen analytischen Literatur – nun die Sonatenhauptsatzform zugrunde liegt oder nicht; auch läßt sich aus dem Diagramm einer Analyse nach Schenker oder der Chiffrierung des Notentextes mit Riemannschen Funktionssymbolen kaum unmittelbar ein Kriterium dafür gewinnen, ob dieser oder jener Ton lauter oder


Erste Seite (1) Vorherige Seite (95)Nächste Seite (97) Letzte Seite (169)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 96 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik