- 76 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Sprachbegleitende Bewegungen sind rhythmisch gestaltet, sie stützen kognitive Prozesse und wirken konzentrationsfördernd.

Die ontogenetische Entwicklung sprachbegleitender Gesten

Grimm (1995) weist darauf hin, dass »der Erwerb und Gebrauch von Wörtern […] durch vor-sprachliche Gesten vorbereitet« wird (ebd., S. 738). Weiter oben war schon erwähnt worden, dass auch noch Erwachsene dazu neigen ›fehlende‹ Worte durch Gesten zu ersetzen. Freedman (1977) beschreibt nun den ontogenetischen Verlauf beider beschriebener Arten von Gesten (körperbezogen/objektbezogen) detaillierter. Für die sensomotorische Phase geht er davon aus, dass im ersten Lebenshalbjahr körperbezogene Bewegungen, also Selbst-Berührungen, dominieren: Säuglinge finden ihre Finger, später die Zehen und spielen damit, saugen an ihren Fäustchen oder reiben sich die Augen. In das darauf folgende zweite Lebenshalbjahr fällt der Beginn der objektbezogenen Aktionen: die Kleinkinder greifen nach Spielzeugen oder Gegenständen in Reichweite. So wie die auf den eigenen Körper bezogenen Handlungen dem Spiel mit Dingen vorausgehen, muss das Bewusstsein für das körperliche Ich die innere Repräsentation von Objekten vorbereiten.

Das Spiel mit dem eigenen Körper geht dem Spiel mit Objekten voraus.
Selbst-Berührung ist Grundlage interner Repräsentationen.

Insgesamt nehmen die körperbezogenen Gesten im Alter von vier bis zehn Jahren zu, um dann wieder etwas abzunehmen (ebd., S. 120). Freedmans Beobachtung, dass auch Sechsjährige noch bilateral agieren, d. h. beide Hände Kontakt zu Beinen, Gesicht, Mund oder Torso suchen, deckt sich mit den in Abschnitt 4.4.1 beschriebenen Grundprinzipien motorischer Entwicklung. Bei den Acht- bis Zehnjährigen beziehen sich Finger- und Handbewegungen auf eingeschränktere Bereiche, die den Blickkontakt zum Gesprächspartner nicht behindern. Fußbewegungen finden jetzt noch gleichzeitig statt, später wechselt die Aktivität zwischen oberen und unteren Extremitäten hin und her. Ab dem Alter von zwölf Jahren stellen sich die Selbstberührungen dar als asymmetrische Muster, bei denen die Hand mit dem Körper wie mit einem Objekt agiert (ebd., S. 123).

Die objektbezogenen Bewegungen dagegen nehmen linear zu im Alter von vier bis sechzehn Jahren. Dabei gehen die sprachbegleitenden Bewegungen – man denke an die oben beschriebene Aufgabe mit dem Begriff ›Hammer‹ – in der Altersgruppe der Vierjährigen noch einer Äußerung voraus oder ersetzen diese, bei den Zehnjährigen begleiten die Bewegungen die gesamte Sprachäußerung, bei den vierzehn Jahre alten Versuchspersonen beschränken sich die Gesten auf die Unterstreichung einzelner Wörter. Damit spiegelt dieses im Zusammenhang mit der inneren Repräsentation stehende Funktionssystem die kognitive Entwicklung wider (ebd., S. 122).

Sprache und Gestik sind so sehr Bestandteil des menschlichen Lebens, dass Störungen in ihrem Zusammenspiel schon in eine pathologische Richtung weisen (s. o.). Dabei ist von einer zeitlichen Grundstruktur auszugehen, die die einzelnen Teile einer Bewegung ebenso koordiniert, wie sie für eine Synchronizität zwischen Sprache und Bewegung sorgt. Anders gesagt: Rhythmus ist nicht nur fester Bestandteil sondern auch verbindendes Element von Sprache und Bewegung. Noch dazu gibt es Hinweise darauf, dass im Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern eine Neigung


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