- 83 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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koordinierter motorischer Abläufe« (ebd., S. 36). Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass unter DAF besonders die Vokale nicht nur gedehnt, sondern auch besonders akzentuiert bzw. intensiviert werden. Die daraus resultierende Umorganisation der Sprechsteuerung bewirkt die Symptomreduzierung des Stotterns. Diese Erkenntnis steht im Einklang mit der Beobachtung, dass Singen, Flüstern oder verlangsamtes Sprechen ebenfalls die Flüssigkeit von Äußerungen erhöht, weil hier wohl ebenfalls nicht auf die gewohnten Steuerungsmuster des normalen Sprechens zurückgegriffen werden kann. In einem Vorgriff auf die Inhalte von Kapitel 7 stellt sich hier die Frage, ob die Neuorganisation der Steuerungsmuster auch eine veränderte Nutzung der Hirnhälften mit sich bringen könnte. Es gibt Hinweise darauf, dass die im veränderten Sprechfluss so wichtigen Vokale in der rechten Hemisphäre verarbeitet werden, nicht linkshemisphärisch wie der größere Anteil der Sprachverarbeitung (vgl. Bruhn 1989, S. 97, daraus die Tabelle in Abschnitt 7.3.2).

Kalveram (2000, 1997) geht in seinem kybernetischen Modell der Sprechsteuerung davon aus, dass betonte und unbetonte Vokale von unterschiedlichen motorischen Algorithmen gelenkt werden. Auch er nimmt an, dass Stottern von einer audio-motorischen Störung verursacht wird. Das Feedback in der Sprachproduktion findet nach seinen Erkenntnissen auf der Ebene von Silben durch den Vokal statt, auf der Ebene von Sätzen durch das Heben und Senken der Stimme, also mit Hilfe der prosodischen Merkmale. Deutliche prosodische Gestaltung des Sprechens verhilft somit zu einer klaren sensorischen Rückmeldung. Diese Rückmeldung unterstützt wiederum den Sprechfluss.

Eine deutliche Akzentuierung der Sprachsegmente verhilft zu flüssigen Äußerungen.

Die Tatsache, dass besonders im Kleinkindalter Sprechunflüssigkeiten auftreten, erklärt Kalveram damit, dass in dieser Zeitspanne die Sprachsteuerung umorganisiert wird. Kleinkinder betonen zunächst alle Sprechsilben. Erst mit zunehmendem Alter (und zunehmender Reifung) gelingt es Kindern zwischen betonten und unbetonten Silben zu variieren. Misslingt die Umschaltstrategie hin zu den neuen Betonungsmustern, verfestigen sich die Stottersymptome.

Im Spracherwerbsprozess findet eine Umorganisation von ständiger zu sinngebender Betonung statt.

Keidel (1977) bezeichnet das Stottern als Störung in der Koordination von visuellen, akustischen und motorischen Funktionen. Er berichtet u. a. von Versuchen, bei denen Probanden zu einer auf dem Bildschirm erscheinenden Kurve ihren Daumenmuskel kontrahieren sollten, Rückmeldung über die gelungene motorische Anpassung erfolgte durch ein Tonsignal. Diese Aufgabe der kombinierten Wahrnehmungs- und Bewegungssteuerung sollte so erfüllt sein, dass die »akustisch hörbare Entladungsfrequenz des Elektromyogramms in Intensität, Amplitude und Phase dem vorgegebenen visuellen Muster entspricht« (ebd., S. 14). Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass vereinzelte Versuchspersonen »stakkatierende motorische Korrekturinnervationen im Elektromyogramm« (ebd.) aufwiesen, quasi mit der Daumenmuskulatur stotterten. Die Ausführung der Koordinations-Aufgabe zum kombinierten Hören und Bewegen gelang umso besser, je langsamer die angebotene Frequenz war.


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