- 146 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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3.2 Zentrale Idee und musikalisches Motiv


In ihrer Schrift Postmoderne in der Musik reflektiert Brunhilde Sonntag den persönlichen Bezug der Kammeroper Weiße Rose zur Situation jedes einzelnen Hörers und Betrachters. In der kompositorischen Verarbeitung der Worte und Gedanken der Geschwister Scholl äußert sich nach ihrer Auffassung das Bekenntnis zur Wahrhaftigkeit. Allen Anfechtungen der Personen durch Todesangst zum Trotz wird deutlich, "daß ihr Tod Opfer und Signum von Wahrheit, das Opfer für die Einforderung von Menschenrecht und -würde ist". Zimmermann holt die politisch motivierte Handlung in den Bereich des persönlichen Handlungsspielraums hinein. Zentrale Idee des Werkes aber ist der Gedanke des Todes als Symbol der Läuterung (Vgl. Sonntag, Postmoderne 84).

     Das zentrale musikalische Motiv der Oper (Beispiel S. 147, Ziffer 20 und 21, Singstimme) erkennt Brunhilde Sonntag als Zitat aus dem ersten Thema des ersten Satzes von Peter I. Tschaikowskys Klaviertrio a-Moll op. 50 (1881/82). Tschaikowsky widmet das Werk in Paris 1881 dem hochverehrten Pianisten Nikolaj Rubinstein aus Anlaß seines Todes (Beispiel S. 148). Bei Zimmermann deutet die absteigende Moll-Linie des Motivs auf


den bitter empfundenen Todesschmerz, die Todesklage, die Todesverzweiflung, die Todesvision. In seiner subjektiven Emotionalität erfüllt es überdies den Anspruch des Komponisten, mit seiner Musik persönliche Betroffenheit auslösen zu wollen. Die Texte, die Willaschek zu der Szenenfolge zusammengefügt hat, spiegeln die besondere Befindlichkeit und die Bedeutung wider, die die letzte Lebensstunde für die Scholl-Geschwister hat. An den zentralen Textstellen, vor allem dort, wo das Verzagtsein der Todesangst überwunden wird durch den Glauben an die Geborgenheit bei Gott und durch die Überzeugung, daß ihr Tod ein Sühne- und Reinigungstod ist, leuchtet das Leitmotiv auf als musikalisches Signal, als hörbares Symbol.

(Sonntag, Postmoderne 84-85)


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