- 154 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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ein (Klavierauszug 33, Manuskriptpartitur 26). Zum Text der Sophie "Nicht Abschied nehmen ..., wir spielen morgen, spielen morgen weiter ..." gleiten Klarinette, Flöte und das bei Ziffer 52 einsetzende Englischhorn chromatisch abwärts bis Hans mit dem Einsatz der Trompetenstimme (Ziffer 53), die ab Ziffer 54 das Todesmotiv aufgreift, leise zu singen beginnt:


Der Mond scheint,

die Straße ist leer.

Der Mond scheint,

ein Mensch flieht.

(U. Zimmermann, Weiße Rose Klavierauszug 35-36)


Das rhythmische Gefüge der Walzermusik löst sich nach dem Einsatz der Klavierstimme ab Ziffer 55 auf. Udo Zimmermann verschiebt wie Alban Berg in den Walzern der Oper Wozzeck die Taktzeiten innerhalb der metrischen Grundstruktur gegeneinander (Beispiel S. 155-156).



3.5 Seelische Landschaft des Walzers


Weder beabsichtigte noch ganz zufällige Übereinstimmungen finden sich zwischen den Texten zum Monodram Erwartung von Arnold Schönberg und zur Kammeroper Weiße Rose von Udo Zimmermann. Sie betreffen im besonderen die Landschaftsschilderungen. Als Sinnbild der Todeserwartung und der Todesangst fungiert die mondbeschienene leere Straße. Die in der Perspektive sich verlierende Linie - Weg, Wegspur, Fluß, Ufer, Meeresküste, Eisenbahnlinie - ist zugleich Strukturmerkmal impressionistischer Landschaftsmalerei bis hin zur neoimpressionistischen Bewegung. Sie erscheint als Koordinate der subjektiven, erinnerten Zeit im Bilde, die innere Landschaft im Spiegel der äußeren als Abbild der Struktur von Erfahrungen in einer konkreten Kultur und Gesellschaft. In den späteren Werken Edvard Munchs tritt das Gesicht solcher Erfahrungen als Angst und Verzweiflung aus Einsamkeit zutage. Ihnen entsprechen die Schönbergschen Selbstporträts. Das menschliche Gesicht gleicht hier wie dort einer musikalisch empfundenen impressionistischen Landschaft.

     In der Landschaftsmalerei wirkt die Perspektive räumlich eingegrenzt, flächig oder verkürzt, wo die Bilder frühe Kindheit und Jugend thematisieren. Der Künstler versetzt sich in die Kindheit. In der dritten Auflage der Traumdeutung von 1911 gibt Sigmund Freud ein weiteres Beispiel für die Übertragung der erinnerten Zeit in räumliche Bilder. Bei der Erinnerung an die Kindheit, sieht ein Träumer "die betreffenden


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