- 102 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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auch heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden. Wagner fühlte sich dann unverstanden und ungeliebt von seiner Frau (vgl. Gutman 1989).

Möglicherweise hatte er sich von Minna mehr Ehrfurcht und Bewunderung für sein Schaffen und seine Person gewünscht. Nach Gutmans Biographie über Wagner hat Minna in ihm jedoch nie das Genie geliebt. Sie hat den Mann hinter dem Genie geliebt und sich ihm daher auch nie in der Weise unterstellen können wie später Cosima. Diese war nach Gutmans Meinung ganz dem Genie Wagners ergeben (vgl. ebd., 117). So stellte sie ihr gesamtes Handeln in seinen Dienst. Sie repräsentierte ihn in der Öffentlichkeit, war seine Sekretärin und regelte seinen Alltag. Bei vielen dieser Tätigkeiten übernahm sie selbst die Initiative. Durch ihr Handeln knüpfte sie die Bande zwischen ihr und Wagner immer enger, so dass sie für Wagner schließlich unersetzbar wurde (vgl. Beidler 1997, 186–239). Cosima daher als Wagner ganz untergeben und unterwürfig zu bezeichnen, wäre zu einseitig. Wie Ortrud war auch sie eine starke Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahm. Nur handelte sie eben nicht für sich selbst, sondern für Wagner. In Cosima vereinen sich beide in Lohengrin gezeigten Frauenbilder. Sie ist sowohl die unterwürfige Elsa, die Lohengrin anbeten möchte, als auch die starke, selbständige Ortrud. In dieser Konstellation schien Cosima die ideale Frau für Wagner zu sein. Deshalb konnte sie ihn dauerhaft an sich binden.

Die Ausführungen zeigen, dass sich in den Frauen in Wagners Werk und in der Realität Parallelen finden lassen. Geht man davon aus, der Künstler habe in seinem Werk Einflüsse aus seiner Lebenswirklichkeit verarbeitet (s.o.), so ist es naheliegend anzunehmen, dass das Frauenbild in Lohengrin auch Wagners wirklicher Einstellung entspricht.

4 Lohengrin im Sinne Feuerbachs

4.1 Über die Philosophie Ludwig Feuerbachs

Feuerbach interpretiert in Das Wesen des Christentums die Religion unter anthropologischem Gesichtspunkt. Für ihn ist sie nichts weiter als die Hypostasierung des Selbstbewusstseins des Menschen als Gattungswesen. Der Mensch nimmt seine Wesenseigenschaften nicht als eigene an, sondern stilisiert sie als Ideal von sich weg und schreibt sie einem Gott zu. Somit ist das Bewusstsein Gottes das Selbstbewusstsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Weiter formuliert er:

»Aber was der Religion das Erste ist, Gott, das ist, [...] an sich, der Wahrheit nach das Zweite, denn er ist nur das sich gegenständliche Wesen des Menschen, und was ihr das Zweite ist, der Mensch, das muß daher als das Erste gesetzt und ausgesprochen werden. Der Liebe


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