20 Tobias Neuhold sierend auf dieser Methode, eine Reihe von explorativen Experimenten durch. Diese zeigten, dass die Wurfweite von für die BeobachterInnen unsichtbaren Objekten er-kannt werden kann. Beim Heben von Boxen konnte deren Gewicht erkannt werden. Ferner konnte die Feststellung des Gewichts nicht durch Schauspielen, das heißt durch den bewussten Versuch, durch schauspielerische Darstellung ein anderes Ge-wicht vorzutäuschen, verfälscht werden. Das Geschlecht von Personen, die komple-xe Bewegungen durchführten, konnte in 75 % der Fälle richtig zugeordnet werden. Auf Basis dieser Ergebnisse stellen Runeson und Frykholm (1983) das Prinzip der so genannten kinematic specifcation of dynamics auf. Dieses besagt, dass Bewegungen durch ihre visuelle Wahrnehmung die zu Grunde liegenden Ereignisse präzisieren. Diese Experimente und vor allem ihr methodisches Vorgehen bilden den Grund-stein der Erforschung von körperlichen Bewegungsabläufen und visuellen Aspek-ten in den Musikwissenschaften, die im Anschluss dargelegt werden soll. Für eine Übersicht von experimentellen Methoden und Vorgehensweisen der Gestenbeob-achtung und -generierung sei auf Camurri und Moeslund (2010) verwiesen. 3.2 Die visuelle Ebene der Produktion von Klang in musikalischen Aufführungen Körperliche Gesten sind notwendig zur Produktion von Klang und stehen somit in einem kausalen Zusammenhang mit der Klangerzeugung (vgl. Windsor 2011, S. 48). Die Klangproduktion bzw. -gestaltung ist abhängig von den Möglichkeiten, die durch das Instrument gegeben sind. Dies ist ein zentraler Faktor, der in der Genera-lisierung der Versuche eine große Rolle spielt und der Besprechung konkreter empi-rischer Untersuchungen vorangestellt werden soll.Schutz und Lipscomb (2007) konnten in einem Experiment aufzeigen, dass die Länge der Gestik eines einzelnen Schlages eines/einer Marimba-SpielerIn nicht den aktuellen Klang verändert, wohl aber dessen Wahrnehmung. In der Darbietung des reinen Audiomaterials wurden die Klänge als gleich lang empfunden. In der Verbin-dung mit dem Videomaterial wurden diese jedoch in Entsprechung zu einer kurzen und einer langen Geste als unterschiedlich lang empfunden. Ebenso haben die sicht-baren Gesten einen Einfuss auf die wahrgenommene Lautstärke von klatschenden Händen. Rosenblum und Fowler (1992) kombinierten große und kleine Klatschbe-wegungen mit dem gleichen Klang. Bei großen Klatschbewegungen wurde der Klang als lauter empfunden, obwohl die Versuchspersonen die visuelle Ebene expli-zit nicht bewerten sollten. Ferner beeinfusst die visuelle Ebene die Wahrnehmung von gesungenen Intervallsprüngen (vgl. Schutz 2008, S. 88). Thompson u. a. (2005) zeigten in ihrem Experiment, dass größere mimische Gesten mit größeren Interval-len in Verbindung gebracht werden, und umgekehrt, dass kleineren mimischen Ges-ten ebenfalls kleinere Intervalle zugeordnet werden. Ein Einfuss der Mimik auf die Beurteilung von Dissonanzen konnte ebenfalls festgesellt werden. Sie verwendeten Videoclips von B.B. King, dessen neutrale Mimik Klänge als weniger dissonant er-scheinen ließ, als sie tatsächlich waren. Die rein auditiven Reize wurden jedoch