36 Andreas Pirchner die nicht ohne Berücksichtigung der Bildebene betrachtet werden kann. Claudia Bullerjahn (2008) stellt jedoch zu Recht fest, dass in der Filmmusikliteratur dennoch reine Musikanalysen » unter weitgehender Ausblendung der narrativ dominierten Bildebene « (S. 205–206) stattfanden.2 Es stellt sich die Frage, welche Umstände dazu beigetragen haben, dass im 20. Jahrhundert in den Musikwissenschaften jene teil-weise heute noch in die Alltagsmeinung und Praxis ausstrahlende Meinung eta-bliert wurde, dass sich Filmmusik, losgelöst von der Bildebene, an eigenständigen ästhetischen Kriterien zu messen habe.Es wird in diesem Artikel von Musik ausgegangen, die speziell für bestimmte Filme geschrieben wurde. Selbstverständlich wurde und wird von RegisseurInnen auch Musik für Filme verwendet, die ursprünglich für einen ganz anderen Kontext geschrieben wurde.3 Es wird zu sehen sein, dass die Wahrnehmung dieser Musik teilweise nicht unabhängig von ästhetischen Annahmen ist, die am Anfang des Ton-flms von Musik aus dem klassisch-romantischen Kanon übertragen wurden. Diese weisen einen starken Bezug zu Ideen der Musikästhetik auf, wie sie im deutschspra-chigen Raum entwickelt wurden. Die getroffenen Aussagen beziehen sich daher stark auf das Verständnis von Filmmusik im deutschsprachigen Raum. Auf diese Weise sollen überblicksartig Entwicklungsstränge und ihre Ursprünge sowie Ein-fussgrößen aufgezeigt werden. Das ästhetische Paradigma der absoluten Musik und sein Fortwirken Die Fokussierung auf die Musikebene bei der Betrachtung von Filmmusik verweist auf ein Verständnis von Musik, die allein aus sich selbst heraus erklärbar sei, weil sie sich nur auf sich selbst beziehe. Das Ideal der absoluten Musik, die sich auf nichts als sich selbst bezieht und keine funktionalen Aufgaben zu erfüllen habe, wurde im 19. Jahrhundert begründet. Carl Dahlhaus (1987) sieht in ihr die » tragende Idee des klassisch-romantischen Zeitalters in der Musikästhetik « (S. 8). Sie beschreibt die Überzeugung, dass Instrumentalmusik gerade durch ihre Begriffs-, Objekt- und Zwecklosigkeit das Wesen der Musik rein und ungetrübt vermittle. Instrumental-musik repräsentiere als bloße Struktur lediglich sich selbst und bilde abgekoppelt von Affekten und Gefühlen einen eigenen Kosmos (vgl. Dahlhaus 1987, S. 13). Ein-fussreicher Wegbereiter der Idee einer autonomen Musik war Eduard Hanslick. Sei-ne später einfussreichsten ästhetischen Standpunkte formulierte er in seiner 1854 erschienenen Abhandlung Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Aes-thetik der Tonkunst. Hanslick vertritt darin die Auffassung, dass der ästhetische An-spruch der Musik in ihrer formalen Anlage liege, » unabhängig und unbedürfg ei-nes von Außen her kommenden Inhaltes, einzig in den Tönen und ihrer künstleri-2 Exemplarisch seien in diesem Zusammenhang auch die theoretischen Bemühungen Rudolf Arnheims genannt, der in seiner Schrift Film as Art (1958) argumentierte, dass Kunst nur in einem einzelnen Me-dium (entweder visuell oder akustisch) zur Geltung komme und versuchte, den Film althergebrachten Kriterien der Kunstbetrachtung zugänglich zu machen. Filmmusik lehnte Arnheim kategorisch ab, da diese als funktionale Musik nicht dem Ideal des autonomen zweckfreien Werkes entsprechen konnte (Emons und de la Motte-Haber 1980, S. 32–33).3 Seit den 1960er Jahren sind dies beispielsweise auch Popsongs, die eigentlich für die Wiedergabe im Radio oder auf der Stereoanlage aufgenommen wurden.