Filmmusik: Spuren des musikalischen Autonomiegedankens 37 schen Verbindung « (zit. n. Strauß 1990, S. 74), nicht etwa aus der Ambition, Gefühle auszudrücken.4 Hanslicks Standpunkte wurden in der Folgezeit nach ihrer Veröf-fentlichung kritisiert, fanden aber in der Diskussion des späten 19. Jahrhunderts über die Ästhetik der Musik dennoch weite Beachtung. Die Positionen betonten die Eigenständigkeit der Musik, die sich nicht wie die Vokalmusik auf Außermusikali-sches beziehen sollte: die höchste Form der Musik ist die instrumentale, ästhetisch autonome Musik. Für die ästhetische Betrachtung eines » vollwertigen « musikali-schen Werks ist somit nichts als die Musik selbst, verstanden als » tönend bewegte Formen « (zit. n. Strauß 1990, S. 75) von Relevanz, die Formen und ihr Inhalt der Musik entstehen aus den sinnvollen Beziehungen zwischen ihren Elementen (vgl. Abegg 1974, S. 48). Die Idee der absoluten Musik ist ein vor allem in der romanti-schen Ästhetik der deutschsprachigen Musikkultur wurzelndes und hauptsächlich dort herrschendes Paradigma. Selbstverständlich blieb das ästhetische Ideal der ab-soluten Musik nicht unhinterfragt. Hugo Riemann schrieb im Jahr 1882 über drama-tische Musik, dass diese mit » der Poesie und der lebendigen Handlung auf der Büh-ne verbundene dramatische Musik nicht einseitig vom Standpunkt der musikali-schen Formgebung aus betrachtet werden darf « (zit. n. von Massow 1995, S. 15). Riemann konstatiert, dass diejenige Musik, die im Kontext von dramatischen Hand-lungen geschrieben und aufgeführt wird, nicht für sich alleine steht. Sie kann somit auch nicht losgelöst vom narrativen Element und ihrer auf dieses bezogene Funktio-nalität untersucht werden. Die Beispiele zeigen, dass zwei für spätere Standpunkte bezüglich der Filmmusik zentrale Ideen durch zwei einfussreiche Persönlichkeiten der Musikästhetik bereits im 19. Jahrhundert formuliert und verbreitet wurden: (1) Die Idee der Musik, die sich lediglich auf sich selbst bezieht. Sie wertet ab-solute Musik als ästhetisch besonders avanciert und beinhaltet die Abgren-zung von Musik, die außermusikalische Bezüge aufweist. (2) Andererseits stellte Riemann fest, dass Musik, die zu dramatischen Hand-lungen geschrieben und aufgeführt wurde, sich nicht lediglich auf sich selbst beziehen kann und auch nicht solchermaßen analysiert werden könne. Wie weiter unten gezeigt wird, elaborierten Adorno und Eisler viel später eine Idee zur Ästhetik der Filmmusik, die durch den Rekurs auf die Montagetechnik die Sichtweise etabliert, dass auch Musik im Film ihre Form und Gestalt aus sich selbst ableiten könne.Der Begriff der absoluten Musik ist stark an das 19. Jahrhundert mit seinen spe-ziellen gesellschaftlichen und musikalischen Bedingungen gebunden. Jedoch wir-ken die ästhetischen Ideen, die mit diesem wirkungsmächtigen Begriff entwickelt wurden, weit in das 20. Jahrhundert hinein. So orientierten sich beispielsweise mit 4 » In der That besitzt die Musik das Eine ohne das Andre; sie kann füstern, stürmen, rauschen, – das Lieben und Zürnen aber trägt nur unser eigenes Herz in sie hinein. Die Darstellung eines Gefühls oder Affectes liegt gar nicht in dem eigenen Vermögen der Tonkunst « (zit. n. Strauß 1990, S. 43).