38 Andreas Pirchner Webern und Schönberg auch Vertreter der Neuen Musik an ihnen (vgl. Seidel 1995, Sp. 16). Dass einmal etablierte ästhetische Ideen weit über den eigenen Entstehungs-zeitraum wirken, ist trivial und kann beispielsweise an der Haltbarkeit der pythago-räischen Sphärenmusik beobachtet werden – einer Idee, die im 5. Jahrhundert vor Christus entwickelt und im 16. Jahrhundert nach Christus von Johannes Kepler in seiner Schrift Harmonice mundi aufgegriffen wurde, um dann im 20. Jahrhundert bei-spielsweise Josef Matthias Hauer zu seinen Ausführungen in Sphärenmusik (1922) zur Ästhetik seiner atonalen Musik zu veranlassen (vgl. Henck 2000). Vormals autonome Musik im Kontext des frühen Films Über die Funktion von Musik in der Frühzeit des Films gibt es verschiedene Erklä-rungsansätze. Ob nun die Angst vor der Stille der ansonsten so realen Bilder oder eher die Notwendigkeit zur Maskierung des Projektorengeräusches den Anlass ga-ben – die Konvention, dass Musik zum Film erklingt, war von den Anfängen des Stummflms an präsent. Jedoch hatten die wenigsten Stummflme eine eigens kom-ponierte Filmmusik. Selbst aufwändige Produktionen, die noch heute als flmhisto-risch wichtig angesehen werden, verfügten nicht immer über eine werkspezifsche Musik. Es wurden verschiedene Verfahren angewandt, um Musik für Stummflme bereitzustellen. Diese lassen sich systematisieren: 1. Improvisation, 2. Kompilation/ Illustration, 3. Autorenillustration, 4. Originalkomposition. Die Improvisation fand in der Regel durch den Kinopianisten oder -organisten statt. Während die Kompila-tion/Illustration meistens ebenfalls vom Pianisten oder Kapellmeister des Licht-spieltheaters eigenverantwortlich zusammengestellt wurde (vgl. Siebert 1995, Sp. 448), waren Autorenillustrationen Verzeichnisse, die (meist romantische) Kom-positionen unterschiedlichsten Bildinhalten und Affekten zuordneten. An die Stelle von aus dem klassisch-romantischen OEvre ausgesuchten Kompositionen tritt so Musik, die sich ausdrücklich auf eine flmische Bildebene bezieht und diese Bezo-genheit bereits mitdenkend komponiert wurde (vgl. Sperl 2006, S. 24). Durch Origi-nalkompositionen schließlich wurde den flmischen Szenen eine speziell für die konkrete szenische Funktion eines bestimmten Films gedachte Musik komponiert.Diese Verfahren existierten in der Stummflmzeit nebeneinander (vgl. Siebert 1995, Sp. 447–448). Bei der musikalischen Ausgestaltung der Filme durch Zusam-menstellung von bereits existierenden musikalischen Werken wurde einerseits auf zeitgenössische Unterhaltungsmusik, andererseits auch auf Werke der » Kunstmu-sik « zurückgegriffen. Da auch die frühen Projektionen eher auf ein möglichst großes Publikum als auf einen kleinen Kreis von kunstbefissenem Bürgertum ausgerichtet waren, entsprach die verwendete Musik eher den etablierten Stilen, die sich bereits in der Wahrnehmung der breiten Masse durchgesetzt hatten. Bei der Kunstmusik war dies zu einem großen Teil der spätromantische Stil. Dabei spielte wohl neben dem Umstand, dass diese verwendete Musik teilweise bereits geläufg war, eine Rolle, dass die Urheber der Musikstücke häufg etablierte Komponisten waren und