42 Andreas Pirchner Statt die auditiven und visuellen Elemente des Films als Teile eines gemeinsa-men Materials zu sehen, gehen Adorno und Eisler von zwei Arten von Material aus, dem musikalischen und dem bildlichen, die nicht miteinander in Beziehung treten könnten. Sie greifen hiermit indirekt Alexander Lászlós Idee der Farbenlichtmusik (1925) oder Oskar Fischingers Visualisierungen zu musikalischen Werken des klas-sisch-romantischen Stils an (beispielsweise An Optical Poem, 1937), die jeweils auf eine starke audiovisuelle Verbindung abzielen. Diese Herabsetzung der audiovisuellen Verbindungen bereitet die zweite Forde-rung vor. Diese besagt, dass Musik und Bild vielmehr durch Montage arrangiert werden sollten. Indem Aufnahmen mit verschiedenen zeitlichen und räumlichen Kontexten miteinander verbunden werden, bildet die Montage das elementare tech-nische Verfahren des Films. Es werden dabei zwei Bilder so zusammengestellt, dass daraus etwas neues Drittes entsteht. Im Verfahren der künstlerischen Montage wird ein in sich konsistenter Zusammenhang des Materials nicht angestrebt (vgl. Schnell 2000, S. 53–54). Unter den Regisseuren, die sich an der Entfaltung einer Theorie der flmischen Montage beteiligten, sind die Ideen Sergej Eisensteins die einfussreichs-ten (vgl. ebd., S. 69). Montage bedeutet aber, von Eisenstein abweichend, bei Ador-no und Eisler auch, dass Musik und Bild letztendlich unverändert nebeneinander bestehen bleiben. Musik ist ein autonomer Teil des Ganzen. Die Bedingungen ihrer Ästhetik lassen sich dementsprechend aus ihr selbst ableiten und stehen nicht im Kontext der Bildebene. Somit ist sie nichts als sich selbst verpfichtet. Die Musik ist, wie im Eingangszitat bereits erkenntlich, » doch nie bestimmt mit Rücksicht auf einen Gegenstand außerhalb ihrer selbst « (Adorno und Eisler 1976, S. 71). Eine sol-che Feststellung verbietet Adorno und Eisler offensichtlich an eine Verwebung von Musik und Bild zu denken, die einen musikalischen Anteil erfordert, der sich eng auf die Bildebene bezieht. Die Idealisierung der Montagetechnik erlaubt es Adorno und Eisler andererseits, für Musik im Film die Unabhängigkeit von außermusika-lischen Einfüssen zu fordern. Dass diese theoretische Forderung nach einer eigenständigen Filmmusik, deren Ästhetik musikimmanenten Kriterien entspringt, durchaus auch in der Praxis ernst gemeint war, zeigt der Umstand, dass die gesamte Instrumentalmusik Hanns Eislers aus den 1930er Jahren (außer die Kleine Symphonie) aus seiner Filmmusik hervorge-gangen ist. Dies war möglich, weil Eisler seine Filmmusik in ganzen Sätzen kompo-nierte und so von Anfang an intendierte, die funktionale (bei Eisler » angewandte « ) Musik » in den Rang der autonomen « Musik zu überführen (Emons und de la Motte-Haber 1980, S. 105). Es bestehen bei der Formulierung der Forderung nach der Montage selbstverständlich völlig andere ästhetische Prämissen als bei der For-mulierung der Idee der absoluten Musik durch Theoretiker des 19. Jahrhunderts. Doch obwohl die Argumentation aus einer völlig anderen Richtung kommt und sich eigentlich konkret gegen die klassisch-romantische Musik, die sich als Holly-wood-Sound im amerikanischen Film etabliert hatte, richtet, bestärkt sie die Idee,