» Hier spielt die Musik!« 59 Den ersten Schritt in diese Richtung leistet Martin. Ausgehend von ihrer These über das Hervortreten des Akustischen im postmodernen Film, führt sie den Begriff des hors-son ein. Das hors-son ist das » Umfeld des Akustischen, in dem sich nicht-sichtbare Bilder befnden, die mit dem aktuellen Ton in Zusammenhang stehen und jederzeit sichtbar werden können « (Martin 2010b, S. 147).6 Im Wesentlichen verant-wortlich für die Entstehung des hors-son sei die Einführung von Dolby Stereo. Die-se Technik ermöglichte einen Raumklang, der das bis dato vorhandene tonflmtheo-retische Vokabular sprengte. » Denn während beim Monoton die Lautsprecher hin-ter der Leinwand angebracht sind und somit eindeutig dem Bild zugeordnet wer-den können […], so wird das Akustische mit der Einführung der Stereotechnik nun tatsächlich räumlich lokalisierbar « (ebd, S. 148). Durch diese Technik ist es möglich, dass nicht-sichtbare Bilder nicht nur in dem Teil der Diegese zu verorten sind, die sich offscreen befnden, sondern auch durch den Ton hervorgebracht werden kön-nen. Ihre These verdeutlicht Martin am Beispiel Star Wars (1977). Bevor die Raum-schiffe im Bild erscheinen, sind sie bereits hinter dem Zuschauer zu hören. Erst nachdem sie sich akustisch über den Zuschauer bewegt haben, treten sie in das Bild. » Das heißt, nichtsichtbare Bilder, die sich im hors-son, im Außerhalb des Tons, be-fnden, werden, initiiert vom Ton, sichtbar « (ebd., S. 147). Es handelt sich hierbei aber nicht um einen metaleptischen Ton, da die Klangquelle durchaus Teil der Die-gese ist und auch nicht von der Extradiegese in die Intradiegese übergeht. Vielmehr bewegt sich die Verortung des Klangs vom Zuschauerraum auf die Leinwand. Das hors-son ist somit eine Kategorie, die verdeutlicht, dass Töne den Bildern vorgela-gert sein können und diese dadurch hervorbringen. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass das Vokabular der Tonflmtheorie noch erweitert werden muss, um der Mög-lichkeit einer Überordnung des Tons zum Bild gerecht zu werden (vgl. Martin 2010a; Martin 2010b, S. 146–150).Martins Umorientierung innerhalb des tonflmtheoretischen Vokabulars soll an dieser Stelle weitergeführt werden. Jedoch geht es hier nicht um eine raumklang-liche Verortung von bildgenerierenden Klängen, sondern um die Frage, wie Bilder, denen Töne vorausgehen, visualisiert werden und sich auf die Tonspur zurückfüh-ren lassen. Das Ton-Bild-Verhältnis wird bisher dahingehend bestimmt, ob der Ton onscreen oder offscreen ist, d. h. ob die Klangquelle im Bild zu sehen ist oder nicht. Dieser Sachverhalt geht von der Tatsache aus, dass die Handlung nicht nur auf den Bild-ausschnitt beschränkt ist, den wir sehen. Ebenso verhält es sich mit dem Ton (vgl. Bordwell und Thompson 2001, S. 306–307). Rufen wir uns hierfür eine bereits er-wähnte Szene aus Singin' in the Rain in Erinnerung. Wie dargelegt ist die musika-lische Begleitung der Gesangsnummer » All I Do Is Dream of You « nicht völlig im Bild anzutreffen. Aus einem Orchester ist eine wesentlich kleinere Musikcombo ge-worden. Bezüglich des Ton-Bild-Verhältnisses kann für diese Szene festgehalten 6 Das Wort hors-son leitet Martin von Chions Begriff hors-champ ab. Dieser bezeichnet den Teil der Die-gese, der sich nicht im Bild befndet (vgl. Chion 1994, S. 73–75). Steht hors-champ für » außerhalb des Bildes « , so bildet das hors-son das akustische Gegenstück, also das » außerhalb des Tons « (vgl. Martin 2010a, S. 125; Martin 2010b, S. 146–147).