62 Ekkehard Knopke schieden werden. Die einen erzeugen die Musik im Produktionsprozess, die ande-ren greifen im Produktionsprozess auf bereits bestehendes Material zurück und passen es ihrer Form an. So auch bei Singin' in the Rain. Die Handlung im Film wur-de vorwiegend um Songs von Nacio Herb Brown und Arthur Freed herum aufge-baut. Sie tauchten alle bereits in anderen Muscialflmen auf. » All I Do Is Dream of You « war Teil des 1934 erschienenen Films Sadie McKee, » You Were Meant for Me « stammt aus The Broadway Melody von 1929 und » Good Morning « ist aus dem Musi-cal Babes in Arms aus dem Jahr 1939, um nur einige Beispiele zu nennen. Für Singin' in the Rain wurden nur zwei Originalsongs geschrieben: » Moses Supposes « und » Make Em' Laugh « . Letzterer ähnelt aber auffällig Cole Porters » Be a Clown!« und wird oft als gestohlen bezeichnet (vgl. Clover 1995, S. 723–725).Die Geschichte von Singin' in the Rain wurde also größtenteils um bestehende Songs herum aufgebaut. Die Handlungen sind in diesem Fall (a) eng an die Inhalte der präexistenten Gesangsnummern geknüpft und dienen (b) als Überleitungen zwischen den einzelnen Songs. Das bedeutet, der Inhalt des Liedes » Singin' in the Rain « verlangt, dass der singende Charakter sich auch wirklich im Regen befndet. Der Text von » You Were Meant for Me « setzt eine Liebesszene voraus. Und das Lied » Good Morning « , in dem von einer durchwachten Nacht die Rede ist, braucht eben diese in der Handlung, um seine Berechtigung zu fnden. Diese Abhängigkeit der Handlung von den bereits existierenden Songs – und somit die Abhängigkeit der Inhalte der Erzählwelt – kann nur dadurch unterbunden werden, indem die Ge-sangsnummern eindeutig in eine künstliche oder irreale Situation gerückt werden. Dies gelingt in Singin' in the Rain beispielsweise dadurch, dass Songs als Inhalte ei-nes Films dargeboten werden (» Beautiful Girl « ) oder Teil einer Traumsequenz sind (» Broadway Melody Ballet « ). Die Taktik, die dahinter steht, ist offensichtlich: Es wird eine metadiegetische Ebene eingeführt, damit die Diegese nicht mehr von den Liedinhalten abhängig ist. Jedoch funktioniert diese Loslösung der Erzählwelt nicht völlig. Sie ist immer noch für die Einführung der metadiegetischen Ebene zustän-dig. Dadurch, dass sich die Diegese von der Abhängigkeit vom Ton lossagen möch-te, muss sie eine weitere Erzählinstanz in Form eines Sängers, Films, Träumenden etc. hervorbringen, dessen Narration zum wesentlichen Inhalt der Diegese wird. Im musikadaptierenden Musical ist es der Diegese nur schwer möglich, sich vom Pri-mat des Tons in Form von bereits existierenden Songs zu entziehen.7 Anders sieht es bei Musicals bzw. Musical-Szenen aus, die nicht auf präexistente Songs zurückgreifen. Sobald die Musik aufgrund einer vorgefertigten Erzählwelt geschrieben wird, untersteht der Ton dem diegetischen Universum und der darin stattfndenden Handlungen. Als Beispiel für ein musikproduzierendes Musical wur-de bereits Grease genannt, das 1971 als Bühnenmusical uraufgeführt wurde und 7 Diese Abhängigkeit der Diegese wird auch in Musikflmen ersichtlich, deren Tonspur einzig und allei -ne auf vorgefertigten Songs beruht. Gemeint sind hierbei sowohl eine Vielzahl von Musikclips als auch umfangreichere Werke, wie z. B. der Film Tommy (1975), der auf dem gleichnamigen Konzeptal-bum der Band The Who basiert. Die Erzählwelt beruht hierbei völlig auf den Inhalten des Albums bzw. deren akustischer Darbietung und weicht kein Stück von ihnen ab. Dies umfasst sowohl die Handlungen in der Erzählwelt als auch die von ihr ausgestrahlte Atmosphäre, die von der Musik un-termauert wird.