64 Ekkehard Knopke S. 272–273). Er wäre ein Außenseiter, der das Leben und die Ordnung innerhalb sei-ner alten Welt bedroht, und müsste dementsprechend umgebracht werden (vgl. ebd., S. 269–273; Politeia, Buch VII 514a–517a).Die Ähnlichkeiten zwischen dem Höhlengleichnis und dem Kinodispositiv sind nicht abzustreiten. So gibt es beim Kino den dunklen Raum, in dem Menschen im-mobil an ihren Plätzen sitzen. Ebenfalls gibt es zweidimensionale Lichtprojektionen an einer Wand, denen Wirklichkeit unterstellt wird. Es gibt die Außenwelt, die so-wohl dreidimensional als auch heller ist und die Bilder an der Wand als Illusionen enttarnt. Und würde jemand während einer Filmsichtung eindringlich auf alle ein-reden, dass der ganze Film eine Illusion sei und alle den Kinosaal gefälligst verlas -sen sollten, so würde er zwar nicht umgebracht, wohl aber als störend empfunden und gerügt werden. Der Realitätseindruck soll doch so lange aufrechterhalten wer-den, wie der Film läuft. Erst sein Ende soll die Zuschauer aus dem Kinodispositiv und seiner Wirklichkeit entlassen. Das Kino dient in dem Fall als eine Technik zur Regression: Der Zuschauer tritt freiwillig aus der Außenwelt in den Kinosaal ein und » kettet « sich an den Kinosessel, um in eine fktive Welt einzutauchen, der er temporär einen Wahrheitsanspruch zuschreibt (vgl. Baudry 2008). Der Diegese wird hierbei ein Realitätsanspruch zugeschrieben. Das Intradiegetische wird als genauso real wahrgenommen, wie das Extradiegetische.Wie bereits erwähnt, verwischt die metaleptische Musik die Grenze zwischen in-tra- und extradiegetischen Sachverhalten. Als außenliegendes Phänomen tritt sie selbst in die Erzählwelt ein. Die narrative Instanz in Form der Musik ist nun selbst Teil der Diegese. Oder besser ausgedrückt: Der Erzähler wird Teil der Erzählung. Dadurch wird gleichzeitig der Wahrheitsanspruch der Nicht-Diegese in Frage ge-stellt. Darauf verweist auch Genette (1998), indem er schreibt:Das Verwirrendste an der Metalepse liegt sicherlich in dieser inakzeptablen und doch so schwer abweisbaren Hypothese, wonach das Extradiegetische vielleicht immer schon diegetisch ist und der Erzähler und seine narrativen Adressaten, d. h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner Erzählung gehören. (S. 169)Die Infragestellung des Wahrheitsanspruchs der Erzählinstanz müsste dem Zu-schauer eigentlich die Faszination am Film nehmen. Die Realität, die der Musical-flm liefert, ist nicht kongruent mit der lebensweltlichen Erfahrung des Zuschauers. Im alltäglichen Leben setzt nicht einfach Musik ein, die von allen wahrnehmbar ist und nach der alle singen und tanzen. Die flmische Realität wandelt sich in den Au-gen des Zuschauers in eine Künstlichkeit, die der empirischen Wirklichkeit zutiefst entgegensteht. Jedoch reißt er sich nicht von seinem Platz im Dispositiv los. Anders als in der Baudry'schen Ausführung vom Höhlengleichnis verleugnet der Zuschau-er, der um die Realität weiß, die Künstlichkeit des Musicals, um sich in die Diegese einfühlen zu können. Er überspielt die Fragwürdigkeit der Extradiegese.