74 Malik Sharif Ich habe das Buch während meines Studiums gelesen und es hat mich schwer beeindruckt. Ich gab das Buch auch Andreas und wir beide waren uns einig, es als Vorlage für unser Album zu nehmen. […] Er prangerte in seinem Roman die damaligen politischen Missstände in seinem Land an und auch Sepultura verschließen nicht die Augen vor den heutigen Ungerechtigkeiten. Das Album heißt deshalb Dante XXI, weil wir mit diesem Titel das Buch in das 21. Jahr-hundert transformieren wollten. (zit. n. Ernst 2006)Dantes Dichtung hat seit Jahrhunderten als Stoff für musikalische Bearbeitungen in der Tradition der sogenannten europäischen Kunstmusik gedient. Betrachtet man die Kompositionen, die sich in irgendeiner Weise auf die Commedia beziehen,10 so lassen sich mehrere Tendenzen feststellen: Selten wird die gesamte Commedia als Grundlage gewählt, in der Regel werden einzelne Textstellen vertont oder einzelne Episoden zu größeren Geschichten ausgesponnen. Besonderer Beliebtheit hat sich dabei die Geschichte von Francesca da Rimini erfreut. Eine weitere Tendenz ist die Entpolitisierung der Commedia. Füllt Dante seine Beschreibungen von Hölle, Läute-rungsberg und Paradies scharenweise mit politischen Akteuren der Vergangenheit und seiner eigenen Gegenwart, verdeutlicht und rechtfertigt dadurch die eigene po-litische Position und nutzt die Darstellung zur Kritik an seinen Widersachern, so wird dieser Aspekt in den Vertonungen ausgespart. Über mögliche Ursachen für diese Tendenzen lassen sich allerlei Vermutungen anstellen. Zum einen mag die Di-vina Commedia zu übervoll an Inhalt sein, als dass sie sich in ein musikalisches Werk erträglicher Länge übertragen ließe, zum anderen könnte ihre politische Seite als zu profan für ein Werk angesehen worden sein, dass im Laufe seiner Rezeptionsge-schichte tatsächlich eine Aura des Göttlichen akkumulieren konnte.Dante XXI kann insofern in mehrerlei Hinsicht als atypisch bezeichnet werden. Zum einen ist das Album, da es die gesamte Commedia zum programmatischen Vor-wurf hat und gerade ihre politischen Aspekte betont (und den Aspekt der Liebe weitestgehend ignoriert), ein Gegenbeispiel zu den eben beschriebenen Tendenzen. Zum anderen ist die Commedia weder speziell im Metal noch in der europäisch-ame-rikanischen Popularmusik im Allgemeinen ein übliches Sujet. In der Wahl des Stoffs äußert sich eine bestimmte ästhetische Orientierung Sepulturas. Wie bereits im bio-grafschen Abschnitt angedeutet wurde, kann die Band nicht als stilkonservativ be-zeichnet werden, sondern war bei aller Treue zu ihren musikalischen Wurzeln auch immer offen für stilistische Veränderungen. Keith Harris (2000) schreibt über diese Tendenz: » It seems that a major impetus in guiding Sepultura’s trajectory from Chaos AD onwards was a desire to assert musical and institutional autonomy from the scene that spawned them « (S. 24). Ähnlich stellt Idelbar Avelar (2003) fest: » For over 18 years Sepultura’s uniqueness has resided less in the maintenance of a pre-sumably pure and original ›authenticity‹ – the band changes its music consistently – than in the ability to think and act ahead « (S. 333; Hervorhebung im Original). Kon-zeptuell scheint bei Sepultura also generell eine ästhetische Ideologie der Originali-10 Für eine tabellarische Übersicht von Commedia-inspirierten Stücken, vgl. O. A. (2000).