92 Susanne Sackl lappungen bei manchen Forscherinnen und Forschern, unterschiedliche themati-sche Fokussierungen zu erkennen sind. In den 1980er und frühen 1990er Jahren werden traditionelle Geschlechterbilder diskutiert, die auf patriarchalen, gesell-schaftlichen Strukturen basieren. Seit Mitte der 1990er Jahre kam es zu einer Ver-schiebung des Blicks hin zu oppositionellen Geschlechterbildern. In einem Fazit werden gemeinsame Kritikpunkte beider Perioden zusammengefasst dargestellt und methodologische Implikationen für künftige Forschungen in diesem Bereich aufgelistet.2 1. Grundlagen der konstruktivistischen Geschlechterforschung Die » Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit « (Hagemann-White 1984) ist ein in-tegraler Bestandteil des Alltagswissens in der euro-amerikanischen Kultur 3 und ba-siert auf drei unhinterfragbaren, als selbstverständlich verstandenen Axiomen, die als nichtveränderlich und natürlich angesehen werden: Es gibt zwei, und nur zwei, Geschlechter (Dichotomizität), wobei jede Person entweder dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Diese Zuordnung erfolgt mit Hil-fe der Genitalien direkt nach der Geburt eines Kindes (Naturhaftigkeit), kann nicht verändert werden und gilt ein Leben lang (Konstanz). Aufgrund dieser natürlichen, biologischen Basis wird die Alltagstheorie zu einer Art » Naturgesetz « erhoben, wes-halb wir keinen Einfuss darauf ausüben können. Gleichzeitig werden über diese natürliche Grundlage soziales Handeln sowie Prozesse der sozialen Differenzierung legitimiert (vgl. Hirschauer 1996, S. 243; Wetterer 2004, S. 122; Wetterer 2008, S. 20–21). Vor allem letzeres wurde in der feministischen Kritik bereits in den 1970er Jah-ren kritisiert. Durch die Unterscheidung zwischen einem biologischen Geschlecht (sex) und einem sozio-kulturellen Geschlecht (gender) konnten jene Biologismen, die zur Bestimmung der » Natur der Frau « und zur Rechtfertigung sozialer Ungleich-heiten zwischen den Geschlechtern herangezogen wurden, zu einem Teil zurückge-drängt werden. Da die biologische und die sozial-kulturelle Dimension bei einer Person nicht zwangläufg übereinstimmen müssen, wurde Geschlecht nicht mehr als » von Natur aus gegeben « , sondern gewissermaßen bereits als sozial konstruiert angesehen (vgl. Degele 2008, S. 66–69; Hirschauer 1989, S. 100).Durch die Trennung in die beiden Dimensionen Natur (sex) und Kultur (gender) wurde mit dieser Auffassung von Geschlecht dennoch implizit an etwas Natürli-chem festgehalten. Erst durch die Konzepte der sozialen Konstruktion von Ge-schlecht, die aus der ethnomethodologischen und phänomenologischen Mikroso-ziologie stammen 4 , wurde auch der Geschlechtskörper historisiert und » nicht als 2 Eine kürzere Fassung dieses Beitrags wurde auch im Artikel » Konstruktivistische Geschlechtertheo-rien in der Musikforschung. Methodologische Implikationen in der Analyse von Videoclips und Print -medien « (Lessiak und Sackl 2012) veröffentlicht. Darin wird neben der Analyse von Geschlechterbil-dern in Videoclips auch auf die Analyse von Geschlechterbildern im Popmusikjournalismus eingegan-gen. 3 Diese bewusste Einschränkung auf den euro-amerikanischen Kulturraum ist notwendig, da die hier behandelten Theorien zu Geschlechterbildern keine interkulturelle Gültigkeit besitzen und keine kul-turellen Universalien umfassen (vgl. etwa Gildemeister und Wetterer 1992).4 Vgl. etwa Garfnkel 1967, Goffman 1994, Kessler und McKenna 1978.