Geschlechterbilder in Videoclips 93 Basis, sondern als Effekt sozialer Prozesse « (Hirschauer 1989, S. 101; Hervorhebung im Original) angesehen; » Natur und Kultur, Sex und Gender werden entsprechend als ›gleichursprünglich‹« (Wetterer 2004, S. 122; Hervorhebung im Original) verstan-den. Nicht mehr die Rekonstruktion von geschlechterspezifschen Differenzen steht seither im Fokus der Frauen- und Geschlechterforschung,5 sondern soziale Prozesse und Praktiken der Geschlechterunterscheidung. Das Konzept des » doing gender « (West und Zimmerman 2002) beschreibt diese interaktive Praxis der Geschlechter-unterscheidung und negiert jegliche » natürlichen « Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern, da stattdessen von einem fortlaufenden Herstellungsprozess von Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität ausgegangen wird. Lapidar übersetzt und in wenigen Worten zusammengefasst umfasst » doing gender « daher die Annahme, dass ein Geschlecht nicht etwas ist, das man hat, sondern etwas, das man in sozialen Interaktionen fortwährend tut. Innerhalb dieser sozialen Interaktio-nen fnden Prozesse der Darstellung von Geschlecht statt und gleichzeitig wird die-se Darstellungsleistung interpretiert, um auf dieser Basis eine Geschlechterattribu-ierung, das heißt eine Zuschreibung von Geschlecht, durchführen zu können. Diese Darstellungs- und Interpretationsarbeit wird im Alltag allerdings unkenntlich ge-macht und läuft nicht offensichtlich ab. Eine Hilfestellung bietet die » Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit « , da diese eine » dichotome Optik « (Hirschauer 1996, S. 243) zur Verfügung stellt, wodurch eine Person immer entweder als Frau oder Mann wahrgenommen wird. Diese » dichotome Optik « ist nicht von Geburt an gegeben, sondern wird gleich-zeitig mit der » Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit « im Prozess der Sozialisa-tion erlernt. Ein Geschlechterwissen wird somit in sozialen Interaktionen auf einer nicht bewussten Ebene reproduziert, weshalb Stefan Hirschauer (1996) » Zweige-schlechtlichkeit als Wissenssystem « versteht, das drei Wissensarten umfasst. (1) Das kognitive, sprachförmige Wissen oder diskursive Wissen beinhaltet Theorien, Wahr-nehmungsleistungen, Erklärungen und Begründungen. (2) Das bildförmige Wissen, mit Hilfe dessen die Zweigeschlechtlichkeit eine ständige Offensichtlichkeit über Vi-sualisierungen im Alltag erfährt und zu spontanen Evidenzen führt, erübrigt zum Teil das Reden oder Erklären in der sozialen Praxis. (3) Das praktische Wissen, das im » doing gender « im Alltag zur Anwendung gebracht wird, ist weniger kognitiv als körperlich zu verstehen und umfasst die Prozesse der Darstellung und Attribu-ierung von Geschlecht. Dies kann sowohl mit dem Konzept des Habitus von Pierre Bourdieu (vgl. etwa 1976, 1993) als auch mit dem von Gilbert Ryle (1969) entwickel-ten Gegensatz zwischen Knowing-How von Akteurinnen und Akteuren und dem sprachlichen Knowing-That in Verbindung gebracht werden (vgl. Hirschauer 1996, S. 246–248; Wetterer 2008, S. 25–28). Dazu Hirschauer: » Wir wissen auch körperlich,5 In den 1970er und 1980er Jahren wurde in der Frauen- und Geschlechterforschung die angenommene Differenz zwischen den Geschlechtern theoretisch bestimmt, allerdings mit dem Hintergedanken, die bis dahin gängige implizite Defzittheorie (Frauen sind » defzitäre « Männer) zu überwinden. Zu die-sem Zweck wurden Besonderheiten von Frauen identifziert und als positiv herausgestellt. Für nähere Ausführungen zur Geschichte der differenzorientierten Geschlechterforschung vgl. Degele 2008, Mo-ser 2010.