THEORIE DER NICHT NUR NEUEN MEDIEN 17 zurichten und - rückgekoppelt mit den Medien - sich zu verändern beginnen. Mit Neil Postman ließe sich auch sagen: „Technologischer Wandel vollzieht sich nicht additiv, sondern ökologisch. [...]. Ein neues Medium fügt nicht einfach etwas hin-zu, sondern es verändert alles.“1 Marshall McLuhan entwickelt seine These auf der Basis der Annahme, daß Technologien grundsätzlich als Erweiterungen oder Ausdehnungen des Körpers sowie der Sinnesorgane zu verstehen sind. So wie die neuen Sinnesorgane auf-grund veränderter Leistungen neue Wahrnehmungen ermöglichen, verändert sich auch die Einstellung und Sichtweise des Menschen zu seiner Umwelt. „Meine Hy-pothese lautet, daß eine Kultur-Ökologie eine ziemlich feste Grundlage im menschlichen Sensorium hat und daß jede Erweiterung dieses Sensoriums durch eine technische Erweiterung eine recht spürbare Wirkung hat, indem sie zwischen den Sinnen neue Verhältnisse und Proportionen herstellt.“2 Schon Sigmund Freud hat auf die Verschaltung des Menschen mit seinen technischen Errungenschaften hingewiesen, wenn er vom Menschen als einem „Prothesengott“ spricht, der ihm auferlegte Beschränkungen mit Hilfe seiner Werkzeuge auszuräumen versucht: „Mit all seinen Werkzeugen vervollkommnet der Mensch seine Organe - die moto-rischen wie die sensorischen - oder räumt die Schranken für ihre Leistung weg. Die Motoren stellen ihm riesige Kräfte zur Verfügung, die er wie seine Muskeln in be-liebige Richtungen schicken kann, das Schiff und das Flugzeug machen, daß weder Wasser noch Luft seine Fortbewegung hindern können. Mit der Brille korrigiert er die Mängel der Linse in seinem Auge, mit dem Fernrohr schaut er in entfernte Weiten, mit dem Mikroskop überwindet er die Grenzen der Sichtbarkeit, die durch den Bau seiner Netzhaut abgesteckt werden. In der photographischen Kamera hat er ein Instrument geschaffen, das die flüchtigen Seheindrücke festhält, was ihm die Grammophonplatte für die ebenso vergänglichen Schalleindrücke leisten muß, bei-des im Grunde Materialisationen des ihm gegebenen Vermögens der Erinnerung, seines Gedächtnisses. Mit Hilfe des Telephons hört er aus Entfernungen, die selbst das Märchen als unerreichbar respektieren würde; die Schrift ist ursprünglich die Sprache des Abwesenden, das Wohnhaus ein Ersatz für den Mutterleib, [...]. [...]. Der Mensch ist sozusagen ein Prothesengott geworden“.3 Wo beispielsweise das Wohnhaus den Mutterleib simuliert, ist zwischen Technik und Mensch dann ein Verhältnis beschrieben, das im Technischen, wie Ernst Kapp schon 1877 schrieb, eine „Organprojektion“ und damit eine Fortsetzung menschlicher Extremitäten in einem anderen Material sieht. „Kapp sieht in der Technik eine Veräußerlichung und Erweiterung des menschlichen Leibes; sie beruht auf ‘Organprojektion’. Der Mensch setzt gleichsam seinen Körper, seine Leiblichkeit nach außen hin fort.“4 1 Postman, Neil: Sieben Thesen zur Medientechnologie, a.a.O., S. 18 2 McLuhan, Marshall: Die Gutenberggalaxis. Düsseldorf/Wien 1968, S. 53 3 Freud, Sigmund: Das Unbehagen der Kultur (III). In: Ders.: Kulturtheoretische Schrif-ten. Ffm 1974, S. 221f. 4 Rapp, Friedrich: Die Dynamik der modernen Welt. Hamburg 1994, S. 101. Bezug ge-nommen wird hier von Rapp auf die 1877 erschienene Schrift von E. Kapp: Grundli-