18 THEORIEGRÜNDE Die von Freud gewählte Begrifflichkeit des Prothesengottes spiegelt dieses Ver-hältnis gleichfalls wider. So werden diese menschengemachten Prothesen auch von McLuhan nicht so sehr als künstlich entworfene, sondern als natürliche Erweite-rungen des Menschen verstanden, was sich in einem Umgang mit ihnen zeigt, der schließlich aller Künstlichkeit entkleidet ist. Ausdruck verliehen ist dem dann, so-bald das Medium im Gebrauch als solches gar nicht mehr wahrgenommen wird. „Der Inhalt von Geschriebenem oder Gedrucktem ist Sprache, aber der Leser ist sich des Drucks oder der Sprache fast gar nicht bewußt.“1 Schließlich sind dem Menschen seine Erweiterungen so wesentlich, daß die angelegten Prothesen unver-zichtbar wie unbemerkt bleiben, diese allerdings durch den je spezifischen Um-gang die Seinsweise des Menschen selbst wie auch dessen Sichtweise auf die Welt ändern. „The understanding media“ lautet der Titel des Buches, in dem McLuhan seine These zentral ausführt. Im deutschen ist dies übersetzt mit: „Die magischen Kanä-le“, womit implizit bezug genommen ist auf kommunikations- wie wahrneh-mungsermöglichende Medien. Wenngleich im Sinne McLuhans alle Technologie als Medium fungieren kann, so sind es doch gerade zur Speicherung wie Distribu-tion von Information dienende Medien oder Kommunikations-“kanäle“, denen McLuhans besonderes Interesse gilt.2 Kulturgüter in ihrer Gesamtheit sind Infor-mationsspeicher, doch die für das Bewahren und Überliefern des gesellschaftlich relevanten Kulturgutes benutzten Kanäle bestimmen maßgeblich durch die Form der Speicherns und die Art des Zugangs darüber, über wieviel Wissen eine Gesell-schaft verfügen kann sowie darüber hinaus, inwiefern neues Wissen erschlossen werden kann. Über die jeweiligen Kommunikations- wie Archivierungsmöglich-keiten ist Gesellschaft elementar definiert.3 So schreibt auch S.J. Schmidt, die Ar-chivierungs- und Kommunikationsmedien würdigend: „Die Erfindungen der Schrift, des Buchdrucks, des Films, des Hörfunks und Fernsehens sowie der soge-nannten neuen Medien werden heute als evolutionäre Errungenschaften angesehen, die nachhaltigen Einfluß auf Formen gesellschaftlicher Organisation, kultureller Programmierung und Möglichkeiten der Kommunikation sowie auf kognitive Pro-nien einer Philosophie der Technik: Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Braunschweig 1877, Neudruck Düsseldorf 1978 1 McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle, a.a.O., S. 25 2 Vgl. Elsner, Monika/Gumbrecht, Hans-Ulrich/Müller, Thomas/Spangenberg, Peter- Michael: Von Revolution zu Revolution. Zur Kulturgeschichte der Medien. In: Mer-ten, Klaus/Schmidt, Siegfried J./Weischenberg, Siegfried: Funkkolleg: Medien und Kommunikation. Konstruktion von Wirklichkeit. Studienbrief 5. Weinheim/Basel 1990, S. 91 3 Vgl. Assmann, Aleida/Assmann, Jan: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Ge-dächtnis. In: Merten, Klaus/Schmidt, Siegfried J./Weischenberg, Siegfried: Funkkol-leg: Medien und Kommunikation. Konstruktion von Wirklichkeit. Studienbrief 5. Weinheim/Basel 1990, S. 41-83. Vgl. Assmann, Aleida/Assmann, Jan/Hardmeier, Christof (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation I. München 1983