THEORIE DER NICHT NUR NEUEN MEDIEN 19 zesse (Stichwort: Wahrnehmungswandel) ausgeübt haben.“1 Zu den traditionellen Wissensspeichern Schrift und Buchdruck sind in diesem Jahrhundert die elektroni-schen, in Echtzeit (= instantan) operierenden Medien wie Film/Hörfunk/Fernsehen und die neuen (Computer-)Technologien in Konkurrenz getreten. Um zu verstehen, wie unter Bedingungen eines instantanen Datenflusses Kom-munikation und Wahrnehmung anders strukturiert ist und beispielsweise völlig neue Umwelten geschaffen sind, in denen Menschen sich zu „bewegen“ gewohnt sind, ist zuvor in Ansätzen zu beschreiben geboten, auf was für medientechnischen Grundlagen überhaupt die bislang bestehende Gesellschaft gründet und welche „Botschaften“ mit den Medien einer vorelektronischen Gesellschaft einhergingen. Die Implikationen, die nunmehr durch die neuen Technologien zu erwarten sind, lenken also den Blick auf andere, historisch verortbare, ähnliche Differenzen pro-duzierende Medien. „Veränderungen befördern das Nachdenken. Seit sich die An-zeichen und Prognosen häufen, daß die Schrift ihre beherrschende Stellung als Technik der Kommunikation verlieren werde, hat sich der Blick für Entstehung und Folgen der Schriftkultur geschärft. Wer heute den technologischen Aufwand für die Ablösung von Schriftzeichen durch Zahlzeichen und Piktogramme sowie die kulturellen Konsequenzen der Ablösung von Schreiben und Lesen durch artifi-ziell vermitteltes Sehen und Hören beobachtet, der wird leichter als zu der Zeit, da die literale Zivilisation selbstverständlich war, zur Analyse jenes historischen Ein-schnitts geführt, der den Übergang von der ursprünglichen Mündlichkeit zur Schriftlichkeit markiert.“2 Im allgemeinen sind dabei drei sogenannte Schwellensi-tuationen markiert, die das Interesse auf sich ziehen: „- die Ausbildung einer spezifisch menschlichen Sprache, - die Einführung komplexer Schriftsysteme und - die Durchsetzung des Buchdrucks in den europäischen Ländern in der frühen Neuzeit.“3 Daher leitet sich auch das große Interesse vieler Wissenschaftler ab, sich mit dem Phänomen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit auseinanderzusetzen, um über den diachronischen Vergleich unterschiedlicher Schwellensituationen zu Er-kenntnissen zu gelangen, welche das Verständnis für den gegenwärtigen Epo-chenwandel fördern. Ein solcher Vergleich bietet einen Bezugsrahmen, innerhalb dessen „Vergangenheit und Gegenwart, Homer und Fernsehen sich wechselseitig erhellen“ können.4 Am Beispiel des Wandels von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit wie Schriftlichkeit zu Buchdruck hat so u.a. auch Walter Ong sehr anschaulich hergeleitet, wie mit einem neuen Medium bestimmte medienimmanente Implikati- 1 Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Ffm 1994, S. 261 2 Schlaffer, Heinz: Einleitung zu: Goody, Jack/Watt, Ian/Gough, Kathleen: Entstehung und Folgen der Schriftkultur. Ffm 1986, S. 7 3 Giesecke, Michael: Als die alten Medien neu waren. Medienrevolutionen in der Ge-schichte. In: Weingarten, Rüdiger (Hg.): Information ohne Kommunikation? Ffm 1990, S. 76 4 Ong, Walter: Oralität und Literalität. Opladen 1987, S. 10