24 THEORIEGRÜNDE einem strikten Nacheinander, während elektronische Medien instantan operieren. Daraus folgert McLuhan: „Ist es nicht klar, daß im selben Augenblick, in dem das Aufeinanderfolgen der Gleichzeitigkeit weicht, wir uns in einer Welt der Struktur und Gestalt befinden?“1 Struktur und Gestalt bedeutet eine Abkehr von der Schrift und eine Hinwendung zum Bild. Eine solche Umorientierung bedeutet eine essen-tielle Veränderung im Wahrnehmen und Denken, denn es ist umgestellt vom abs-trakten diskret operierenden Code der Buchstaben zu konkreten Flächen-Objekten der Anschauung. Während in dem einen Falle das stete Abtasten von abstrakten Symbolen abverlangt ist, die sich erst am Ende einer Zeile zu Sinn fügen, ist in dem anderen Fall einem Bild Sinn unmittelbar anzuschauen. Während in dem ei-nen Fall Distanz zur Decodierung von Sinn vonnöten ist, ist in dem anderen Fall durch die gewährleistete Unmittelbarkeit Distanz aufgehoben. Dies hat elementare Folgen für die Gestaltung von Lebenswelten, die gleichfalls von der Distanz auf die Unmittelbarkeit umgestellt sind. Durch die Technisierung der Gesellschaft, durch die einen instantanen Datenfluß generierende Computerisierung der Kom-munikationssysteme wird das über Schrift und Buchdruck vermittelte diskursive, lineare Denken, dieses auf Distanz ausgelegte Denken schlicht obsolet. „Die Geste des Schreibens ist im Begriff, eine archaische Geste zu werden, durch die sich eine Seinsweise äußert, die durch die technische Entwicklung überholt ist.“2 Die unmit-telbare Verfügbarkeit von Informationen, die mit Lichtgeschwindigkeit um den Globus herum verteilt werden, ist auf Simultaneität, auf ein gleichzeitiges Agieren und Reagieren ausgelegt, denen das sukzessive langsame Abtasten von Zeilen, das lineare Decodieren von Zeichen zu Bedeutungen nicht mehr gerecht wird. Die dem linearen Denken notwendige Distanziertheit zum Objekt wird aufgegeben zuguns-ten eines unmittelbaren Dabeiseins. Diese Anteilnahme wird durch einen weiteren Umstand erheblich gefördert. Elektronische Medien der Jetztzeit basieren heute im allgemeinen auf Computer-technologie, was Vernetzungen von ähnlich arbeitenden Medien möglich macht. Diese Vernetzung ist, aufgrund der lichtgeschwinden Verarbeitung von Daten in bzw. zwischen Computersystemen, noch auf einer anderen Ebene fortzuschreiben, denn Verarbeitungsgeschwindigkeiten von Digitalmedien sind angeglichen an Verarbeitungsgeschwindigkeiten des menschlichen Zentralnervensystems. Schon analog prozedierende elektronische Medien der Frühzeit bewiesen ihre Kopplungs-fähigkeit mit Menschensinnen. Digitale Medien nunmehr schreiben Ankopp-lungsmanöver mit Menschensinnen konsequent fort und ergänzen wie erweitern Sinnesleistungen, indem sie prinzipiell als Prothesenelemente für Menschensinne operieren. Wo Medien grundsätzlich als Erweiterungen menschlicher Organe ge-dacht sind, indem sie Menschenleistungen wie beispielsweise die der Hand durch den Hebel optimieren, ist es nunmehr also die befehlsgebende Zentrale selbst, das Gehirn, das in den zu Mediennetzwerken verschaltbaren elektronischen Einzel-medien seine Entäußerung erfahren hat. Die Agentur Bilwet spricht vom heutigen Menschen denn auch als „elektrischen/elektronischen Menschen“, „der, [...], sein 1 McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle, a.a.O., S. 19 2 Flusser, Vilém: Gesten, a.a.O., S. 48