THEORIE DER NICHT NUR NEUEN MEDIEN 25 ganzes Wesen veräußerlicht und amputiert: Das Informationsnetzwerk ist sein Nervensystem.“1 Mediennetzwerke sind demnach Entäußerungen des Zentralner-vensystems, wobei die Datenflüsse nunmehr frei zwischen der organischen Zentra-le und dessen technischer Erweiterung zu zirkulieren vermögen. „Die Buchkultur als Ganzes, d.h. Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, Büchereien, das gesamte Uni-versum der Bücher, ist ein Kommunikationssystem, das zwischen Widerständen abläuft. Jeder einzelne Leser setzt einer bestimmten Botschaft durch Vergleichen einen bestimmten Widerstand entgegen. Die Welt der elektronischen Kommunika-tion hingegen ist gleichsam eine Welt der Transistoren. Nachrichten werden ohne Widerstand weitervermittelt und kommen in einer Art Rückkopplungsschleife be-schleunigt zurück. [...]. Das elektromagnetische Feld unseres Planeten heute bilden Telefone, Telegrafen, das Fernsehen, Computer, Faxgeräte und Satelliten. Damit haben wir das elektromagnetische Feld der Jetztzeit, in dem wir selbst leben. Wir sind Teil dieses riesigen elektromagnetischen Feldes.“2 Ohne die Widerstände, die dem Menschen die früheren Medien entgegengesetzt haben, können die Informati-onen ohne Halt oder Besinnung auf das Gebotene das Zentralnervensystem passie-ren. Norbert Bolz hat den Unterschied zwischen den früheren und den elektronisch prozedierenden Medien einmal wie folgt beschrieben: „Bis zur Schwelle der neuen Medien jedoch haben die technologischen Extensionen der Sinne nur geschlossene Systeme konstituiert. Während sich die Sinne des Menschen endlos ineinan-derübersetzen, sind ihre Extensionen in den Medien der Gutenberg-Galaxis als ge-schlossene Systeme interaktionsunfähig.“3 Diese Interaktionsunfähigkeit ist mit den elektronischen Medien durch eine weitgehende Angleichung des Processings und die dadurch möglich gewordene freie Datenzirkulation nunmehr aufgehoben. Folglich gewinnt die These von McLuhan ihren Sinn, wenn er, bedingt durch die Angleichung der Geschwindigkeit der elektronischen Datenströme an das Zentral-nervensystem, die weltumspannenden elektronischen Kommunikationsnetze als Entäußerungen eben dieses Zentralnervensystems sieht, die Medien als extensions of man versteht.4 Mit der globalen Vernetzung, dieser weltumgreifenden Erweiterung unserer Sinne, welche die instantane Kommunikation von jedem mit jedem ermöglicht, sieht er die Reduktion des Raumes und die Komprimierung der Welt zum „global village“ gegeben. In dieser Zusammenziehung der Welt, in diesem auf Gleichzei-tigkeit angelegten Weltgefüge erkennt Foucault dann den Beginn einer neuen Epo-che, die er als die „Epoche des Simultanen“, die „Epoche der Juxtaposition“, die 1 Agentur Bilwet: Medien-Archiv. Düsseldorf/Bensheim 1993, S. 232 2 de Kerckhove, Derrick: Mensch, ärgere Dich nicht über Computer-Kunst. In: Kaiser, Gert/Matejovski, Dirk/Fedrowitz, Jutta (Hg.): Kultur und Technik im 21. Jahrhundert. Ffm/N.Y. 1993, S. 225f. 3 Bolz, Norbert: Theorie der neuen Medien. München 1990, S. 112 4 Vgl. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle, a.a.O.