THEORIE DER NICHT NUR NEUEN MEDIEN 27 erscheinen läßt, „womit am Ende das Gefühl eines Verlaufs der historischen Zeit dem Eindruck eines Stillstands weicht.“1 Ergebnis einer solchen Tendenz zur Ni-vellierung von Zeit ist der Verlust von Geschichtlichkeit, was sich nach Gumbrecht konsequenterweise in der gegenwärtigen, in der als „postmodern“ deklarierten Epoche in Stillosigkeit, willkürlicher Vermischung von Stilelementen unterschied-lichster Epochen Ausdruck verleiht. Alles ist zitierbar, alles ist benutzbar gewor-den. Wir beobachten in allen Bereichen der Gesellschaft eine „Auffüllung der Ge-genwart“ mit vielfältigen, immer perfekter reproduzierbaren Vergangenheiten. Mit den digitalen Speichermedien kann sich der mit den elektronischen Medien begon-nene Prozeß der Dissoziation von Geschichtsbewußtsein, von Historizität endgül-tig vollziehen. Die digitalen Codes „sind immer [...] abrufbar und werden gegen-wärtig. Bei ihnen gewinnen die Begriffe ‘Gegenwart’, ‘Zukunft’, ‘Vergangenheit’ und vor allem ‘Entfernung’ und ‘Nähe’ (also ‘Abstand’) neue Bedeutung.“2 Ent-fernung und Abstand verliert sich schließlich auch da, wo einmal gespeicherte In-formationen nicht mehr, sobald sie abgerufen und reaktiviert werden, nur bloße Abbilder der Ursprungs- oder Primärinformationen sind, sondern je Originalität beweisen. In Computermedien der Jetztzeit verfallen jegliche Vergleichsunter-schiede, die auf Zeitfixierungen, also auf Vorher/Nachher- oder auch Origi-nal/ Kopie- Differenzen setzen. Medienphänomene sind im folgenden für den musikalischen Bereich zu beden-ken, wobei zweifelsohne der Schwerpunkt auf die digitalen Prothesenelemente ge-legt wird. Dabei wird folglich explizit Abstand genommen von der traditionellen Medienwirkungsforschung, welche sich vornehmlich mit dem Rezipienten be-schäftigte und danach fragte, welche Wirkungen der Inhalt eines Mediums auf je-nen ausübte. Eine solche Medienwirkungsforschung operiert schlicht naiv und wird dem Beziehungsgeflecht Mensch/Medium in keiner Weise gerecht. Auf die-ser Grundlage operiert beispielsweise Medienkritik respektive -analyse, die als Folge von Gewaltdarstellung in den Medien auf eine erhöhte Bereitschaft zur Ge-walt beim Zuschauer schließt. „Solche Thesen gelten heute als empirisch nicht haltbar.“3 Zuschauer werden hier rein als passive Objekte verstanden, die sich ge-mäß eines entsprechenden Impulses verhalten. „Empirische Forschung, die auf die-sem Ansatz basiert, beruht auf einem reduzierten und oft kraß vereinfachten Wirk-lichkeitsverständnis“ 4, was sie zuletzt immer wieder grandios hat scheitern lassen.5 Wo Medien nunmehr als mitkommunizierende, sich mitteilende Entitäten be-griffen sind, kann Musikpädagogik nur noch als Medientheorie formuliert werden, 1 Gumbrecht, Hans-Ulrich: nachMODERNE ZEITENräume. In: Weimann, Ro-bert/ Gumbrecht, Heinz Ulrich (Hg.) unter Mitarbeit von Benno Wagner: Postmoderne - globale Differenz. Ffm 1991, S. 64 2 Flusser, Vilém: Die Schrift, a.a.O., S. 147 3 Faulstich, Werner: Grundwissen Medien. München 1994, S. 80 4 Moser, Heinz: Einführung in die Medienpädagogik. Opladen 1995, S. 107 5 Vgl. Winter, Rainer/Eckert, Roland: Mediengeschichte und kulturelle Differenz. Op-laden 1990, S. 9ff