30 THEORIEGRÜNDE nalismus beschrieben. Das Stoßen an der Welt läßt den Menschen (aber nicht nur den, sondern jeden Organismus) durch Ausprobieren spezifische Verhaltensweisen ausprägen, die so lange ausdifferenziert werden, bis sie so funktionieren, daß ein Bewegen in der Welt durch ein Angepaßt-Sein an deren Bedingungen ein irgend-wie organisiertes Überleben garantiert. Sind Verhaltensweisen nicht mehr der Welt gemäß, müssen sie bis zur erneuten Funktionstüchtigkeit durch erneutes Auspro-bieren weiter spezifiziert werden. Im gegenteiligen Fall ist der Organismus nicht mehr lebenstüchtig, da die entgegenstehenden Widerstände zu unüberwindbaren Hindernissen geraten. In diesem fortwährenden Prozeß des Ausprobierens wird ei-ne stabile Vorstellung von Wirklichkeit entworfen, die sich im weiteren Verlauf des Probierens zu bewähren hat oder nicht. Was so schließlich zur stabilen Wirk-lichkeit gerinnt, ist also das Ergebnis einer Tätigkeit, womit zugleich die These mitgesetzt ist, daß eine jede Erkenntnis aktives Wahrnehmen voraussetzt und Er-kenntnis selbst aus Konstruktion entspringt. Weil die Welt - das Objekt Welt - unzugänglich bleibt und das Sein in der Welt von einem tätigen Sein abhängig ist, stellt der Konstruktivismus von Was-Fragen (Bsp.: Was sehe ich?) auf Wie-Fragen (Wie nehme ich wahr?) um, um so Bedin-gungen der Existenz zu lokalisieren.1 Angerissen ist im vorangegangenem schon die These, daß der Zugang zur Welt grundsätzlich verschlossen bleibt. Das Unglaubliche an dieser Aussage verliert sich schnell, wenn darin erinnert wird, wie das zentrale Nervensystem operiert. So kennt das menschliche Nervensystem keinen Input oder Output, sondern einzig seine eigenen Operationen. „Das Gehirn ist kein umweltoffenes Reflexsystem, sondern ein funktional geschlossenes System, das nur seine eigene ‘Sprache’ ver-steht und nur mit seinen eigenen Zuständen umgeht.“2 Gemäß des Prinzips der „undifferenzierten Codierung“ nach Johann Müller nehmen die Sinnesrezeptoren lediglich die Frequenzstärke einer Außenwelt wahr. „Die Erregungszustände einer Nervenzelle codieren nur die Intensität, aber nicht die Natur der Erregungsursache. (Codiert wird nur: ‘So-und-so viel an dieser Stelle meines Körpers’ aber nicht ‘was’)’“.3 Heinz von Foerster spricht infolge des stets gleichen und nur in seiner Intensität variierenden Reizes auch von „der universellen Sprache der Neuronen“ und deren Vokabular lautet: „Klick“.4 Dieser frequenzmodulierte Impuls ist schon 1 Vgl. ebd., S. 15 2 Schmidt, Siegfried J.: Der Radikale Konstruktivismus. Ein neues Paradigma im inter-disziplinären Diskurs. In: Ders (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Ffm 51992, S. 14 3 von Foerster, Heinz von: Erkenntnistheorien und Selbstorganisation. In: Schmidt, Siegfried J. (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, a.a.O., S. 138 4 Ebd., S. 138. „Eine Störung, die an irgendeiner Stelle der Zelle stattfindet, pflanzt sich in Form eines kurzen elektrischen Impulses von [...] 1/10 Volt längs der Nervenfaser (Axon) fort. In der Tat, wenn eine elektrische Mikrosonde in die Nähe eines solchen Axons gebracht und diese Sonde über einen Verstärker auf einen Lautsprecher geführt wird, hört man jedesmal einen ‘Klick’, wenn eine solche Störung die Mikrosonde pas-siert.“ Unterschieden wird dabei lediglich - entsprechend der Stärke der Störung zwi-