36 THEORIEGRÜNDE zusetzen sind mit psychischen Systemen, so wird ersichtlich, daß psychische und soziale Systeme gemäß des Prinzips der System/Umwelt- Differenzierung, dieser Einheit der Differenz, füreinander Umwelt sind, dabei überschneidungsfrei operie-ren, gleichwohl aber durch strukturelle Kopplung verbunden sind. „Die strukturelle Kopplung von Bewußtsein und Kommunikation wird im wesentlichen durch Spra-che geleistet. Sprache hat (akustische, im Falle von Schrift auch optische) Formen entwickelt, die zugleich Bewußtsein faszinieren und Kommunikation transportie-ren. Es ist vermutlich nur eine geringe Übertreibung, wenn man sagt, daß im Laufe der Evolution Bewußtseinssysteme und Sozialsysteme, die sinnhaft operieren, erst durch Sprache entstehen, das heißt durch einen Mechanismus der Entkopplung und der strukturellen Wiederkopplung zweier Arten von Autopoiesis.“1 Mit anderen Worten. Ohne psychische Systeme gibt es auch kein soziales System. So wie das psychische System auf Umweltirritation durch Kommunikation angewiesen ist, ist umgekehrt das soziale System dies durch Irritation, ausgelöst von psychischen Systemen. Ja mehr noch, soziale Systeme lassen sich ausschließlich von psychi-schen Systemen irritieren und von nichts sonst. Um diese eigenartige These der kommunizierenden Systeme zu verstehen, muß veranschaulicht werden, daß sozia-le Systeme Strukturen ausbilden, die nur noch bestimmte Kontingenzen erlauben, andere aber nicht. Soziale Systeme operieren also wie alle Systeme komplexitäts-reduzierend. Die Struktur des Systems bestimmt somit über die Anschlußselektionen mit und dadurch wird die Unwahrscheinlichkeit eines Erfolges einer Kommunikation in ihr Gegenteil gewendet. „Eine Struktur besteht also, was immer sie sonst sein mag, in der Einschränkung der im System zugelassenen Relationen“.2 Daraus ist nunmehr auch abzuleiten, wie Verstehen von psychischen Systemen möglich wird. Von der Struktur des jeweiligen sozialen Systems sind auch die Erwartungshaltungen psy-chischer Systeme abhängig. Das Repertoire möglicher Erwartungen wird also im Vorfeld einer Kommunikationsofferte durch Ausbildung bestimmter Kommunika-tionsformen so eingeengt, daß an eine Kommunikationsofferte gebundene An-schlußmöglichkeiten nicht beliebig sind, sondern innerhalb der Grenzen der Struk-tur angegeben sind. Soziale Systeme eröffnen Kommunikationshorizonte, wie sie andere verschließen und ebnen damit psychischen Systemen den Weg zur gegen-seitigen erfolgreichen Kontaktaufnahme, indem sie intern in psychischen Systemen ablaufende Erwartungshaltungen/Verstehenskonzepte in ganz bestimmte Bahnen lenken. Sozialsysteme sind gegeben „wenn sie semantische Strukturen ausbilden, die die in ihnen ablaufenden kommunikativen Operationen auf selbstreferentielle, rekursive Umlaufbahnen zwingen.“3 Spezialsemantiken grenzen Sozialsysteme scharf voneinander ab. Die semantische Bezugnahme entscheidet über Erfolg oder Mißerfolg einer Kommunikation. Schließlich wird auch einsichtig, wieso nur sozi-ale Systeme kommunizieren, nicht aber psychische Systeme. Psychische Systeme 1 Luhmann, Niklas: Glück und Unglück der Kommunikation in Familien: Zur Genese von Pathologien. In: Ders.: Soziologische Aufklärung 5, a.a.O., S. 219 2 Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, a.a.O., S. 384 3 Willke, Helmut: Systemtheorie, a.a.O., S. 69