„[U]nser Schreibzeug arbeitet mit an unse-ren Gedanken.“1 Die mit der Überschrift - Musikgeschichte als Technikgeschichte - gewählte Zielrichtung lädt zum Widerspruch ein, ist hierin nichts anderes ausgesagt, als daß Musik nicht von ihren „Schöpfern“ her gedacht werden kann, sondern von ihren medialen Bedingungen. Denn wenn gemeinhin von den „Schöpfern“ einer Musik - den Komponisten - die Rede ist, so wird in erster Linie an einzelne Komponisten-persönlichkeiten gedacht, welche infolge einer außerordentlichen Musikalität, ver-bunden mit einer reichhaltigen Vorstellungsgabe, irgendwie Musik-“Werke“ zu schaffen verstehen. Mithin wird zuweilen noch anderer Komponisten gedacht, welche in einer Vorbildfunktion in ihrer Nachfolge stehende Komponisten zu be-einflussen mochten. Zuletzt gar werden mitunter noch die sozialen Bedingungen markiert, unter denen ein Werk entworfen wurde. Diese Markierungspunkte hel-fen, in ihrer Gesamtheit, den Werdegang eines Musikwerkes zu reflektieren. Was nach einer solchen Analyse an Werken noch unbegreifbar am bis zu jenem Zeit-punkt Unerhörten bleibt, wird dem Genie des komponierenden Künstlers zuge-schrieben. Was bei all jenen Reflexionsbemühungen fehlt, ist folgendes: Die Musikrezepti-on läßt bei der Analyse von Werken zumeist die gegebene medientechnische Reali-tät außer acht. Die hier geäußerte Vermutung ist also zumindest für weite Teile ei-ner Musikwissenschaft befremdlich, welche in Instrumenten zwar unverzichtbare, gleichwohl aber in diesen schlichte Werkzeuge zur Ausführung sieht. Die durch das Instrument verkörperte medientechnische Realität ist aber nie alleine schlichtes Werkzeug, mit dem umgegangen sein will und für das Komponisten „schöpfen“, sondern in der Rückkopplung mit den „Schöpfern“ einer Musik nicht weniger de-ren „Schöpfer“ und dies eben nicht nur in dem Sinne verstanden, daß Musik letzt-endlich irgendwelcher Instrumente bedarf, welche behandelt sein wollen. Technologie ist also nicht weniger der Komponist von Musik, welche sich der Menschen bedient, um aufgeschrieben zu werden, wie Menschen sich der Techno-logie als Aufschreibesystem bedienen, das jegliches Schreiben nur in einer ihnen gemäßen Art und Weise zuläßt. Um zu ergründen, wieso bestimmte Musiken Ge-stalt angenommen haben, lohnt es, das Interesse den jeweiligen technischen Be-dingungen zuzuwenden, denen die Komponisten-Instanz unterworfen war. Eine solche Verlagerung des Interesses wird allemal mehr über die Existenzbedingun-gen einer Musik verraten, als dies mit ausschließlichen Blick auf das in einem Menschen verortete Genie möglich wäre. Verlagerung des Interesses meint damit, die zu ihrer jeweiligen Zeit vorherrschende Technologie einer Analyse zu unter-ziehen und auf der Grundlage eines solchen analytischen Vorgehens das musikali-sche Geschehen neu zu qualifizieren. Widerspruch mag also von interessierter Seite erfolgen, welche sich das Genie im Menschen so leicht nicht ausreden lassen respektive welche den Menschen als 1 Nietzsche, Friedrich: Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe Bd. III, 1, hrsg. von Gi-orgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin/N.Y. 1981, S. 172