MEDIENMUSIK 45 war, auf das gleiche hinauslief. „Das Klavier ist demnach für die Komponisten, die instrumentieren können, eine wahre Guillotine“1, beklagte Hector Berlioz die ab-verlangte Klavierbezogenheit des Komponierens in seinen Memoiren nicht zum einzigen Male an. Und gerühmte Literaten aus dem 19. Jahrhundert wußten In-strumententechnologie ihrer Zeit mit folgenden Worten zu würdigen: „‘Es ist wun-derlich’, sagte Goethe, ‘wohin die aufs höchste gesteigerte Technik und Mechanik die neuesten Komponisten führt; ihre Arbeiten bleiben keine Musik mehr, sie ge-hen über das Niveau der menschlichen Empfindungen hinaus, und man kann sol-chen Sachen aus eigenem Geist und Herzen nichts mehr unterlegen.’“2 Die aufs „höchste gesteigerte Technik und Mechanik“ machen eine Musik möglich, die die menschlichen Empfindungen zu übersteigen in der Lage ist. Die Technik und Me-chanik „führt“ den Komponisten und nicht umgekehrt, der Komponist ist Erfül-lungsgehilfe der Maschine, des Instrumentes, was das gleiche ist, und er kompo-niert, was Instrumententechnologie zu komponieren vorgibt. So ist für Kompositi-onsbemühungen als allererste Regel anzugeben, daß schon im Klangkörper die schließlich Gestalt annehmende Musik vorgezeichnet ist. Das Extrem zeichnend, schreibt Hans Georg Nicklaus, „daß der Klangkörper noch nie dasjenige, das man komponiert hat [...], sondern immer dasjenige, in das hinein, mehr oder weniger auf das hin abgestimmt, man komponierte.“3 Die Begrenztheit des Klangkörpers determiniert die darauf abgestimmte Musik. Die Technik, Musik in Notenschrift zu fixieren, von der noch an anderer Stelle etwas ausführlicher die Rede sein wird, wäre fraglos ein anderes prominentes Bei-spiel, das Musik in einer Art entwerfen ließ, die in ihrer jeweiligen Erscheinungs-form nur auf der Grundlage dieser Technik zu gestalten war. „In den Kompositio-nen manifestierte sich die ungebrochene Tradition eines ‘Musikalischen Denkens’ (Eggebrecht 1977), das an der Klaviatur und an der Liniennotation seine Ursachen und seine Grenze hat; und in der adäquaten inneren Tonvorstellung, die von den 1 Ebd., S. 83 Eine das Klavierbewußtsein bedingende Rückkopplung mit dem Klavier war für ande-re Künstler erst die Voraussetzung zu entwerfen, wofür sie in der Musikgeschichte schon zu Lebzeiten gerühmt wurden. Über Beethoven steht zu lesen: „Ohne das Pia-noforte hätte er seinen Werdegang nicht machen können - so schrieb Adolf Bernhard Marx in seinem großen Beethovenwerk von 1859. Der Feststellung liegt der Gedanke zugrunde, daß die wesentlichen Impulse, die den Entwicklungsgang Beethovens be-gründen, an die Auseinandersetzung mit dem Klavier gebunden sind.“ (Rexroth, Diet-er: Beethoven. München 21988, S. 481) Beethoven ist ein Beispiel par exellance, daß Musikgeschichte in erster Linie als Technikgeschichte zu schreiben ist. Vgl. Gellrich, Martin: Die Disziplinierung des Körpers. Anmerkungen zum Klavierun-terricht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Pütz, Werner (Hg.): Musik und Körper. Essen 1990. Vgl. Gellrich, Martin: Üben mit Lis(z)t. Wiederentdeckte Ge-heimnisse aus der Werkstatt der Klaviervirtuosen. Frauenfeld 1992. Vgl. Scherer, Wolfgang: Klavierspiele. München 1989 2 Goethes Gedanken über Musik, hg. v. Hedwig Walwei-Wiegelmann. Ffm 1985, S. 48 3 Nicklaus, Hans-Georg: Das Erhabene in der Musik oder Von der Unbegrenztheit des Klanges. In: Pries, Christine (Hg.): Das Erhabene. Weinheim 1989, S. 227