MUSIKGESCHICHTE ALS 50 TECHNIKGESCHICHTE lich, wie der Physiklehrer - in Zusammenarbeit mit der Klasse und wenige Hilfs-mittel nutzend - einen einfachen und doch funktionstüchtigen Phonographen her-stellte, in dessen Walze sich Zeichen einritzten, die eine Wirklichkeit repräsentier-ten, die erst seit kurzem schreibbar war: „Ein Stück biegsamerer Pappe, zu einem Trichter zusammengebogen, dessen engere runde Öffnung man sofort mit einem Stück undurchlässigen Papiers, von jener Art, wie man es zum Verschlusse der Gläser eingekochten Obstes zu verwenden pflegt, verklebte, auf diese Weise eine schwingende Membran improvisierend, in deren Mitte, mit dem nächsten Griff, ei-ne Borste aus einer stärkeren Kleiderbürste, senkrecht abstehend, eingesteckt wur-de.“ 1 Als aufnehmende Walze „fand sich eben irgend ein Cylinder“2, der - mit Wachs überzogen - die von der Membran übertragenen Schwingungen aufzeichne-te. Es reicht „ein Verbund von Pappe, Einweckpapier, Kleiderbürstenborsten und Kerzenwachs vollkommen hin“3, um das im Moment des Erklingens Entschwin-dende - nunmehr Materie gewordener Klang - zu bewahren und zu reproduzieren. Ursprünglich in erster Linie als Gerät zur Aufzeichnung von Sprachäußerungen jedweder Art gedacht4, zeigt sich der kommerzielle Verwendungszweck des Pho-nographen schon recht bald nach dessen Einführung, eben in der Aufzeichnung von musikalischen Signalen. Mit Berliners Erfindung der (Schellack-) Schallplatte und des Grammophons 1 Rainer Maria Rilke, zitiert nach Kittler, Friedrich: Grammophon, Film, Typewriter, a.a.O., S. 63 2 Ebd., S. 63 3 Rainer Maria Rilke, zitiert nach ebd., S. 63 4 Edison sah 10 Möglichkeiten für den Gebrauch seiner Sprechmaschine vor. Der Rei-henfolge nach waren dies der Gebrauch als (1) Diktaphon wie auch als (2) akustisches Blindenbuch. Ferner dachte Edison an seinen Einsatz im (3) Sprechunterricht und dann erst als (4) Wiedergabegerät für Musik. Denkbar schien ihm auch der Einsatz als (5) akustisches Erinnerungsarchiv für Familien, einem Photoalbum vergleichbar. Die Verwendung im Spieldosen- wie Spielzeugbereich (6) und als Uhrzeit wie wichtige Termine angebender Apparat (7) folgen, und fortgesetzt wird die Aufzählung durch die Möglichkeit, die Sprechmaschine für den Fremdsprachenunterricht (8) zu nutzen, ferner durch die Möglichkeit für Lehrerkörper, Anweisungen an Schüler auf diesem Wege erteilen zu können (9), und komplettiert wird das Ganze zuletzt durch die Idee, das Gerät als Telephonanrufbeantworter (10) zu nutzen. (Die Aufzählung ist erfolgt nach: Blaukopf, Kurt: Hexenküche der Musik, a.a.O., S. 104f.) Auf die ursprüngliche Idee, lediglich als Sprachaufzeichnungsmaschine - als Sprech-maschine - und „Telephonwiedergabegerät“ zu dienen, verweist auch Marshall McL-uhan, wenn er an die Namen Grammophon und Phonograph erinnert: „Es sollte ur-sprünglich eine Form von tönender Schrift (gramma-Buchstaben) sein. Es wurde auch ‘Graphophon’ genannt.“ Und auf Äußerungen von Edison aus dem Jahre 1878 im „North American Review“ Bezug nehmend, in denen er selbst auf die Möglichkeit der fernmündlichen Aufzeichnung hinweist, folgert McLuhan: „So muß der Plattenspieler ursprünglich als eine Art phonetische Aufzeichnung von Telephongesprächen angese-hen werden. Daher die Namen ‘Phonograph’ und ‘Grammophon.“ (vgl. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle, a.a.O., S. 300/301).