VON DER EINSCHREIBUNG DES REALEN 53 daß es physikalisch dem vernünftigsten und geschicktesten Lebewesen unmöglich ist, ein einziges Phonem seines eigenen Namens zweimal identisch zu reproduzie-ren.“ 1 Mit diesen Gegebenheiten bricht der Phonograph. Ein jeder Laut kann, einmal aufgezeichnet, von nun an - zumindest virtuell - immer und immer wieder reprodu-ziert werden. So geht die Phonographie „über die bloß ‘abbildende’ Beziehung zur tönenden Wirklichkeit hinaus und gestattet die unmittelbare Reproduktion des vom Tonträger festgehaltenen Schallereignisses.“2 Möglich wird dies durch die Ablö-sung des Klanges von seinem Urheber und die damit gleichzeitig gegebene Her-auslösung desselben aus dem spezifischen Zeitzusammenhang. Mit der Ablösung eines Tones und/ oder eines Geräusches von seinem Urheber wird nicht mehr des-sen konkrete Existenz im Hier und Jetzt, sondern diese lediglich in der Zeit be-zeugt. Vor Edisons Phonographen war die Quelle eines Klanges eindeutig lokali-sierbar. Was der Phonograph fortan bietet, ist ein Stück „gefrorener Vergangen-heit“. Indem der Phonograph bestimmte, in der Zeit angesiedelte akustische Begeben-heiten zu reaktualisieren vermag, zeigt sich der grundsätzlich konservative Charak-ter dieses Mediums und seiner Nachfolger. Sie haben einen ausschließlich bewah-renden Charakter und gleichzeitig ist damit jenen Aufzeichnungs- und Wiederga-bemedien eine gewisse Inaktualität und Rückwärtsgewandtheit immanent. Mit den Worten Matthias Fischers ist eine Aufzeichnungsmaschine „ein verläßlicher tem-poraler Entfernungsmesser: Sie bewahrt auf gewisse Weise das Empfinden, aber als vergangenes.“3 Jene Apparate legen Zeugnis über das Vergangene ab, mit einer Genauigkeit allerdings, die, bedingt durch das stereotype, maschinell verlaufende Aufzeichnungsverfahren, die Möglichkeiten menschlicher Speicherungstechniken bei weitem übertreffen: Mit dem Phonographen erfolgt die Delegierung des menschlichen Erinnerungsvermögens an eine Maschine und zwar in dem Bewußt-sein, daß sich die Maschine weitaus besser als das menschliche Gedächtnis zur Speicherung und Reaktualisierung von Gewesenem eignet. Die Genauigkeit, mit der das maschinelle Gedächtnis speichern kann, ist das Ergebnis einer reflektions-freien, weil unbewußt ablaufenden Speicherung. Die eigenen Erinnerungen gelten fortan nicht mehr als der Maßstab von etwas Gewesenem. Die Wahrheit darüber, wie etwas gewesen oder erklungen ist, zeich-net sich in den Erhöhungen und Vertiefungen der konkreten Materialität der Kommunikation - der Wachswalze oder Schallplatte - ab. Der Hörer macht sich die Erinnerungen des Mediums, einer Maschine zu eigen.4 „In der Tat bezeugt der 1 Schafer, R. Murray: Klang und Krach, a.a.O., S. 122 2 Blaukopf, Kurt: Massenmedium Schallplatte, a.a.O., S. 19 3 Fischer, Matthias: Die Stimme der Musik und die Schrift der Apparate. In: Fischer, Matthias/ Holland, Dietmar/ Rzehulka, Bernhard: Gehörgänge. München 1986, S. 23 4 Auf das Photo bezogen spricht Roland Barthes davon, daß die Photographie gewalt-sam sei, da „sie bei jeder Betrachtung den Blick mit Gewalt ausfüllt“. Sie läßt keinen Raum für die eigenen Erinnerungen, wird quasi zur „Gegenerinnerung“ (vgl. Barthes, Roland: Die helle Kammer. Ffm 1985, S. 102). Ganz ähnlich bei der Schallplatte. Sie