MUSIKGESCHICHTE ALS 56 TECHNIKGESCHICHTE Konzertsaal ins Wohnzimmer holen“ u.ä. keinen tatsächlichen oder auch nur annä-hernden Wirklichkeitsgehalt in sich tragen.1 Bei den aufgezeichneten Signalen handelt es sich lediglich „um die zwischen dem physikalischen Verlauf des Inputs, also dem Frequenzgefüge der musikalischen Aufführung, und den Verzerrungen des Outputs, also der Wiedergabe, gemessen am Verlauf des Inputs. Es handelt sich also um eine Differenz im Identischen, insofern die musikalische Aufführung wie deren Reproduktion als Frequenzverlauf aufgefaßt werden. Was technisch an-gestrebt wird, ist eine möglichst große Ähnlichkeit beider Momente. Das bedeutet allerdings nicht - muß man es wirklich betonen? - die Ähnlichkeit von Situatio-nen.“ 2 Geleistet wird also eine Nivellierung einer Differenz im rein akustischen Bereich, die die Aufhebung des Originalen im Identischen betreibt. Beschrieben ist damit weiter, daß mit der Möglichkeit der Bewahrung des an sich flüchtigen Klan-gereignisses eine Ablösung von der konkreten Konzertsituation erfolgt und ein Herauslösen aus einem spezifischen Zeitzusammenhang gegeben ist. Das Konkrete an einer Aufführung wie auch dessen Eingebettetsein in die Zeit ist es aber, was Bedingung für das Bewußtwerden des Ereignishaften und für seine Einmaligkeit ist. „[D]er Charakter des Ereignishaften, des ‘Auratischen’, [...], wird zum unwie-derholbaren Gemeinschaftserleben im Hier und Jetzt. Es ist die Emphase des Ori-ginals, für die Musiker gleichermaßen wie für das Publikum, [...]. Diese Aura kennt die Schallplatte nicht, [...]. Ihr fehlt das Leibhaftige.“3 Schallplattenmusik oder allgemeiner jede technisch dargebotene Musik verwandelt ein jedes musikali-sches Erlebnis aufgrund ihrer immanenten Ereignislosigkeit in ein „Nicht- Ereignis“ und leistet - nach Blaukopf - so der Banalisierung von Musik Vorschub.4 In die gleiche Richtung deutet die Argumentation von Hermann Rauhe und Rein-hard Flender, wenn sie etwas überzeichnend formulieren, die Musik sei kein be-sonderes Ereignis mehr, „sondern sie ist Billigware zum Quasinulltarif am laufen-den Band.“5 Das ursprünglich Originale, das seinen Wert aus seiner Ereignishaftig- und Ein- 1 Vgl. dazu Fischer, Matthias: Die Stimme der Musik und die Schrift der Apparate. S. 26 und weiter: Rzehulka, Bernhard: Abbild oder produktive Distanz S. 85f. Beide in: Fischer, Matthias/ Holland, Dietmar/ Rzehulka, Bernhard: Gehörgänge, a.a.O. 2 Fischer, Matthias: Die Stimme der Musik und die Schrift der Apparate. In: Fischer, Matthias/ Holland, Dietmar/ Rzehulka, Bernhard: Gehörgänge, a.a.O., S. 26 3 Rzehulka, Bernhard: Abbild oder produktive Distanz. In: Fischer, Matthias/ Holland, Dietmar/ Rzehulka, Bernhard: Gehörgänge u.a.: Gehörgänge, a.a.O., S. 88 4 Von einer fortschreitenden Banalisierung spricht Kurt Blaukopf im Zusammenhang mit dem stereotypen Gebrauch musikalischer Formen in der Musik, was im Terminus der musikalischen Banalisierung seine Bezeichnung findet, im Zusammenhang mit der Einstellung des Rezipienten zur Allgegenwart der Musik (Musikberieselung) und von ihm als ökologische Banalisierung gekennzeichnet ist. Zuletzt ist Musik - nach Blau-kopf - einer ökonomischen Banalisierung unterworfen, indem ein musikalisches Er-eignis durch seine Archivierung für jedermann kostengünstig zugänglich wird (vgl. Blaukopf, Kurt: Beethovens Erben in der Mediamorphose. CH-Heiden. 1989, S. 159f.) 5 Rauhe, Hermann/ Flender, Reinhard: Schlüssel zur Musik. Wien/ Düsseldorf 1986, S. 60